"Da du so viele Leute in ihrem empfindlichsten Nervenpunkt, weil in einer Lüge ihres Daseins getroffen hast, hassen sie dich", schrieb ihr Karl Jaspers. Hannah Arendt, die am 14. Oktober 1906 in Linden, einem Stadtteil von Hannover, geboren wurde, übte sich früh darin, diesen Hass auszuhalten: Nach einem Streit mit einem antisemitischen Lehrer flog die 15-Jährige von der Schule. Trotzdem studierte sie Philosophie bei Heidegger, Husserl und eben Jaspers, später wurde sie erste Frau auf einem Lehrstuhl in Princeton.

Theoretisch bezog sich Arendt immer wieder auf die griechische Polis (in Vita Activa), den romantischen Salon (in Rahel Varnhagen), das Konzept der Räterepublik: Das waren dem Ideal nach überschaubare Räume, die einer Vielfalt politischer Ideen und dem Außenseiter, dem "Paria", eine Stimme ließen. Das genaue Gegenteil davon erfuhr Arendt als Jüdin: 1933 floh sie mit ihrem ersten Mann, dem Schriftsteller Günther Anders, vor dem Nationalsozialismus nach Frankreich, wo sie kurz im Frauenlager Gurs interniert war. 1941 gelang ihr und ihrem zweiten Mann, dem Philosophen Heinrich Blücher, die Flucht in die USA.

Hannah Arendts zentrale These: Der Totalitarismus des Nationalsozialismus wie der des Stalinismus erzeugt eine falsche Einstimmigkeit. Er setzt eine - zunächst beliebige - Idee absolut und eine fiktive Wirklichkeit mit Gewalt um. Was Arendt als Prinzip "totaler Herrschaft" entwickelt, wendet sie in ihrem umstrittenen "Eichmann in Jerusalem" an: Banal sei dieses Böse, weil sich im Organisator des Massenmords nichts anderes als eben die totalitäre Einstimmigkeit verkörpert, die Unfähigkeit, Widerstand nur zu denken.

Auch nach ihrer Einbürgerung in die USA 1951 will Arendt politische Praxis in der Vielstimmigkeit verankert wissen. Sie wendet sich aktiv gegen McCarthys Kommunistenhatz und begrüßt 1956 den Volksaufstand in Ungarn. Die Gründung Israels erscheint ihr unter Voraussetzung eines unausrottbaren Antisemitismus notwendig; gleichzeitig kritisiert sie, dass das Problem der arabischen Bevölkerung in Palästina verdrängt werde. Milde Urteile in Kriegsverbrecherprozessen und die zögerliche Entschädigung der Opfer des Nationalsozialismus empören sie. Dennoch besucht sie Deutschland immer wieder. Am 04. 12. 1975 stirbt Hannah Arendt in New York. (DER STANDARD, Print, 14./15.10.2006)