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In welche Richtung marschieren sie? Wird Bush Premier Maliki trotz Enttäuschung weiter unterstützen?

Foto: AP/Ganbari

Infografik: Mehrheiten im Irak

Die derzeitige Eskalation der Gewalt im Irak verstärkt die Zweifel darüber, ob die gewählte Regierung jemals die Kontrolle ausüben können wird. Die Ergebnisse des politischen Prozesses im Irak scheinen plötzlich nicht mehr sakrosankt.

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Nähert sich der Irak wirklich dem Punkt, der über Sein und Nichtsein entscheidet, oder ist es nur der Ramadan, der die Gewalt in unvorstellbare Höhen getrieben hat? Ist es ein unaufhaltsamer Trend oder „nur“ eine Spitze? Niemand hat die Antwort, aber George W. Bushs „stay the course“ hört sich mittlerweile manchmal wie ein frommer Wunsch an, über dessen Durchführbarkeit anderswo als in Washington oder in der Internationalen Zone in Bagdad entschieden werden könnte, nämlich auf den Straßen.

Jedenfalls ist Hochkonjunktur für einerseits Szenarien, was mit dem Irak passieren könnte, andererseits für amerikanische Exitstrategien. Sie werden nicht (nur) von ehemaligen Kriegsgegnern und fantasievollen Journalisten zusammengebraut, sondern stammen zum Teil aus zumindest offiziösen Quellen. James Baker, ehemaliger Außenminister, steht gemeinsam mit dem Demokraten Lee Hamilton (der zur 9/11-Kommission gehörte) einer „Iraq Study Group“ des US Institute of Peace vor und wird nach eigenen Andeutungen in Kürze einen Plan vorlegen, der zwischen Bushs „stay the course“ und dem immer öfter angedachten Davonlaufen liegt.

Teilung des Irak

Was von Mitgliedern der Baker-Kommission gesagt wurde, ließ Beobachter vor allem in der arabischen Welt schließen, dass Baker eine Teilung des Irak in ein Sunniten-, ein Schiiten- und ein Kurdengebiet empfehlen wird. Noch ist unbekannt, was in dem Papier tatsächlich steht. Dass Bakers Empfehlungen jedoch wieder in die Richtung direktes Eingreifen nicht nur im Sicherheitsbereich gehen, dürfte auf der Hand liegen.

Zuletzt hatten sich die USA im Irak ja eher als beratender, vermittelnder Zuschauer gegeben, die irakische „ownership“, Eigentümerschaft, aller politischen und administrativen Prozesse wurde betont. (Natürlich hält dieses schöne Bild einer genauen Überprüfung nicht stand, der Druck auf die irakischen Akteure war und ist immer abrufbar.)

Jetzt werden jedoch Aussagen, etwa die von US-Botschafter Zalmay Khalilzad, dass Regierungschef Nuri al-Maliki „zwei Monate“ Zeit habe, die Sache in den Griff zu bekommen, von manchen dahingehend gedeutet, dass die USA Konsequenzen ziehen würden, sollte sich Malikis Bilanz nicht verbessern.

Das hat in Bagdad große Beunruhigung hervorgerufen – so groß, dass Bush Maliki in einem Telefonat versichern musste, dass er ihm und seiner Regierung keinesfalls eine Deadline setzen will.

Unsicherheit in Bagdad

Ein Bush-Sprecher lieferte danach aber wieder ein derart differenziertes Maliki-Lob ab, dass die Unsicherheit in Bagdad bestimmt nicht ausgeräumt ist: Maliki, so sagte Tony Snow, tue alles in seiner Macht Stehende. Es müsse mehr getan werden. Gerüchte, dass die Amerikaner eine andere, stärkere Regierung haben wollen, nachdem sich die „Regierung der Nationalen Einheit“ als schwach und zerstritten erwiesen hat, sind mindestens so alt wie diese Regierung selbst, die erst im Juni komplettiert wurde.

Militärregierung?

Damals hieß es, die USA würden sich eine Art Notstandsregierung unter ihrem Favoriten Iyad Allawi, dem Chef des säkularen Parteiblocks „Iraqiya“, wünschen. In der letzten Zeit werden die Geschichten schon etwas bösartiger. Es werden die Namen von drei Generälen genannt, nach ethnisch-konfessionellem Proporz ein Schiit, ein Sunnit und ein Kurde, die eventuell eine Militärregierung (Militärrat) bilden sollen; auch einige Schlüsselministerien sollten von Militärs übernommen werden.

Dass diese Gruselszenarien nicht von ungefähr aus dem Boden wachsen, zeigt ein Satz von Leslie Gelb (emeritierter Präsident des renommierten Council on Foreign Relations): Die USA könnten abziehen und dafür sorgen, dass „die Baathisten („potenzielle Alliierte“) die Mittel bekommen würden, den Aufstand niederzuschlagen“. Da kommt einem in der Tat die Gänsehaut. Auch die Teilungsszenarien kommen nun immer häufiger auf den Tisch, meist eingeleitet mit der wenig hilfreichen Feststellung, dass der Irak ja vor über 80 Jahren als „künstliches Gebilde“ geschaffen worden sei.

Auch in diese Diskussion hat Bush jetzt eingegriffen, indem er sich klar zur territorialen Einheit des Irak bekannte und nicht einmal die – in der unter US-Führung ausgearbeiteten irakischen Verfassung vorgesehene – Regionenbildung unterstützt (siehe Regionen machen Irak "gefährlicher"): Wobei er pikanterweise nicht nur auf die Gefahren für den Irak verweist, sondern auch darauf, dass das seinen türkischen Freunden nicht gefallen dürfte, wenn die Kurden so etwas wie einen Staat bekommen (de facto bekommen sie ihn ja ohnehin).

Jedenfalls kann man im Moment noch davon ausgehen, dass die US-Regierung versuchen wird, den Irak zusammenzuhalten. Die Implikationen für die ganze Region wären zu groß, und ein von iranischer Unterstützung abhängiger irakischer Schiitenstaat wäre das Letzte, was die USA jetzt brauchen können. Für den Irak selbst sollte man sich die Illusion abschminken, dass es eine auch nur halbwegs friedliche Trennung geben wird.

Die konfessionell-ethnischen Platten reiben an den Rändern aneinander – quasi akut bebengefährdet ist etwa der kurdisch-arabische Rand, Stichwort Kirkuk, wo die Gewalt ständig steigt. Auch für die gemischt sunnitisch-schiitischen Gebiete gibt es keine „logischen“ Lösungen. Zynisch könnte man sagen, dass da der „Bevölkerungsaustausch“ jedoch (Flucht und Vertreibung) ohnehin schon flott voran geht.

Bleibt aber das unlösbare Problem Bagdad, einst eine sunnitische Stadt, heute mit schiitischer Mehrheit. Auch hier hat sich bereits eine Teilung vollzogen, in einen nordöstlichen schiitischen Teil und einen südwestlichen sunnitischen. Aber nicht einmal eine Mauer würde funktionieren, denn die historischen Stadtviertel Kadhamiya (schiitisch) und Adhamiya (sunnitisch) liegen jeweils im „falschen“ Gebiet.

Was einem Irak ohne Teilung blühen könnte, wenn die Gewalt nicht gestoppt wird? Unmöglich, nicht an Somalia zu denken, das seit Jahren tief in Anarchie und Warlordism steckt, wobei es noch immer so etwas wie eine international anerkannte Regierung gibt. Und die Islamisten sind auf dem Vormarsch – wie damals in Afghanistan die Taliban sind nur sie in der Lage, das Land zu „befrieden“, irgendwann akzeptieren die erschöpfen Menschen alles. Im Irak rief vor wenigen Tagen eine ominöse Gruppe tentativ einen islamischen Staat aus, ein Zeichen an der Wand. (Gudrun Harrer/DER STANDARD, Printausgabe, 18.10.2006)