Wien – Präsident George W. Bush ist bekanntlich selbst nach einer alkoholgetränkten Lebensphase im Geiste Jesu wiedergeboren worden. Und er steht seit jeher im Ruf, seine Wahlerfolge der christlichen Rechten zu verdanken. Die Liebesbeziehung zwischen diesem frommen Wählersegment und dem Präsidenten scheint aber ein wenig in die Krise gekommen, und dies nicht erst, seitdem David Kuo, ein Ex-Mitarbeiter des Weißen Hauses, aus der Schule geplaudert und verraten hat, dass die "Evangelikalen" von Mitarbeitern Bushs schon einmal abschätzig als "Dummköpfe" bezeichnet worden seien.

Rainer Prätorius sieht mehrere Gründe, warum sich die Rolle der christlichen Rechten in der US-Politik verändert habe. "Ihr Einfluss besteht zwar nach wie vor fort, aber er ist auf der nationalen Ebene weniger sichtbar geworden", meint der Hamburger Verwaltungsrechtler (Universität der Bundeswehr), der sich lange mit der Rolle der Religion in der US-Politik auseinandergesetzt hat. Es fehle der christlichen Rechten an wirklich zugkräftigen Integrationsfiguren: So habe sich der in den 90er-Jahren hochaktive Ralph Reed mehr oder minder aus der nationalen Politik zurückgezogen, während sich eine Figur wie Pat Robertson durch unbedachte öffentliche Wortmeldungen nachhaltig selbst beschädigt habe.

"Die politischen Aktivitäten der christlichen Rechten haben sich schwerpunktmäßig auf die lokale Ebene verlagert", meint Prätorius, "bei der Wahl von Elternbeiräten oder in Fragen der schulischen Curricula sind sie sehr aktiv." Die Aktivitäten konzentrierten sich allerdings auf jene Regionen, wo die christliche Rechte ohnehin schon stark verankert ist: Die alten Dixie-Staaten wie Mississippi, die Carolinas, Georgia oder Alabama sowie Teile der Prärie- und Mountain-Staaten wie etwa Kansas, wo sie mit einigen Referenden erfolgreich waren.

Allerdings seien die wirklichen Fundamentalisten dadurch in eine Falle geraten, in die alle Fundamentalisten über kurz oder lang gerieten: "Sie können ihre hundertprozentigen Anhänger zu hundertfünfzigprozentigen Anhängern machen", meint Prätorius, "aber sie erzielen keine territorialen Zugewinne mehr." So kämen sie etwa im oberen Mittleren Westen (Wisconsin, Minnesota) mit ihren Missionierungsbestrebungen auf keinen grünen Zweig.

Vor den Midterm-Elections hätten sich aber auch außenpolitische und soziale Fragen in den Vordergrund geschoben. Und zudem gebe es ein Bedürfnis "nach einer ruhigen harmonischen Mittellage", die religiösen Eiferern nicht entgegenkommt. Kurzfristig könne man mit Glaubensfragen in den USA wahltaktisch durchaus gut operieren, meint Prätorius, aber: "Auf lange Sicht sind scharfe Frontstellungen in religiösen Fragen vielen Amerikanern unangenehm". (Christoph Winder/DER STANDARD, Printausgabe, 20.10.2006)