Dürfen Politiker lügen? Das tun sie doch jeden Tag, sagen die Zyniker. Das gehört bestraft, fordern die Idealisten. Tatsache ist, dass man an der Spitze der Macht gar nicht darum herum kommt, es mit der Wahrheit nicht immer genau zu nehmen. Und im Grunde ist das auch kein Problem. Denn die Bevölkerung nimmt ein gewisses Maß an Lügen der Politiker durchaus in Kauf. Ja, man hat den Eindruck, dass sie bisweilen sogar dafür belohnt werden. Als Wolfgang Schüssel vor der Nationalratswahl 1999 ankündigte als Dritter in Opposition zu gehen und stattdessen sich selbst zum Bundeskanzler machte, wurde er vom Wähler keineswegs abgestraft. Im Gegenteil: Die ÖVP erzielte bei den darauf folgenden Wahlen im Jahr 2002 einen Erdrutschsieg, ihr bestes Ergebnis seit Jahrzehnten. Dass die SPÖ mit einer Wahl Verspätung diese Tatsache in einem Werbespot aufzeigte, mag manchen gefallen haben – ausschlaggebend für die ÖVP-Wahlschlappe war er gewiss nicht.

Der Lügen-Spot ist in der jetzigen Situation aktueller denn je. Er zeigt, dass Politiker-Versprechen vor der Wahl schon einen Tag nach dem Urnengang ihre Gültigkeit verloren haben. Noch immer glaubt eine Mehrheit der Österreicher, dass Noch-Bundeskanzler Schüssel niemals eine schwarz-blau-orange Koalition eingehen würde. Immerhin wurde doch vor der Wahl lauthals verkündet, dass man mit der Strache-FPÖ nichts zu tun haben will. Tatsache ist aber, dass die ÖVP als Juniorpartner der SPÖ nichts zu gewinnen hat und die Volkspartei in dieser Position jahrzehntelang den Kürzeren zog.

Warum also, wird sich der Stratege Schüssel fragen, nicht noch einmal das Tabu brechen? Zwei aus seiner Sicht logische Schlussfolgerungen sprechen dafür: Erstens: Die Stellung, die die Strache- FPÖ heute mit knappen 11 Prozent an Wählerstimmen hat, ist nicht annähernd dieselbe, die Haider mit seinen 27 Prozent im Jahr 1999 hatte. Die EU wird Schüssel, sollte er Strache zu seinem Vizekanzler machen, sicher nicht wieder vom Esstisch verbannen. Zweitens: Lügen lohnt sich – zumindest aus Sicht des Kanzlers. Mag sein, dass die Donnerstagdemos wieder ins Leben gerufen werden. Mag auch sein, dass der Kanzler wieder unterirdisch zur Regierungsangelobung gehen müsste. Wenn sich Geschichte wiederholt, darf sich Schüssel genau deswegen bei den nächsten Wahlen wieder über einen satten Wahlsieg erfreuen. Macht er nicht? Wilhelm Molterer hat bereits das Gespräch mit Strache gesucht. Ja genau, jener Wilhelm Molterer, der noch zwei Wochen vor der Wahl die FPÖ-Politik striktestens ablehnte .