Belgrad – „Der Milošević-Prozess ist ein Vermächtnis”, sagt Nataša Kandić vom Menschenrechtszentrum in Belgrad. Die Frau, die im Vorjahr dafür sorgte, dass ein Film, auf dem die Ermordung von bosnischen Muslimen durch serbische Einheiten im Jahr 1995 zu sehen ist, an die Öffentlichkeit gelangte, hat ein neues Projekt zur Bearbeitung der Kriegsvergangenheit Serbiens auf Schiene gebracht.

Zurzeit übersetzen drei Mitarbeiter des Menschenrechtszentrums alle Protokolle des Prozesses gegen den ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević ins Serbokroatische. Die insgesamt 45 Bände mit 30.000 Seiten sollen dann Historikern, Richtern, Staatsanwälten, Forschern und der künftigen Generation zur Verfügung gestellt werden. Kandić möchte nämlich nicht, dass Miloševićs Tod dazu führt, dass in Serbien kein Urteil über ihn gefunden wird.

„Es geht darum, dass jeder zu seinen eigenen Schlussfolgerungen über diese Zeit kommen kann, dass es möglich wird, über Serbien zu urteilen.” Die Österreichische Entwicklungszusammenarbeit (EZA) sponsert mit 185.000 Euro den Druck der 1000 Kopien. Für Kandić ist es das wichtigste Projekt seit Beginn ihrer Arbeit vor vierzehn Jahren. Die Menschenrechtlerin will, dass die Unterlagen für Kriegsverbrecherprozesse in allen exjugoslawischen Ländern (auch imKosovo), die am Krieg beteiligt waren, verwendet werden. Schließlich wurden im Milošević-Prozess Zeugen einvernommen, die detailgetreu etwa über Kommandoketten Auskunft gaben.

Für die Übersetzung wurden Videos von Zeugenaussagen verwendet und nicht nur die englischen oder französischen Übersetzungen. Dadurch konnten auch Fehler entdeckt werden.

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„Wir wollen zeigen, dass wir in Serbien Verantwortung für die Vergangenheit übernehmen und versuchen die Würde der Opfer und Rechtsstaatlichkeit wieder herzustellen”, so Kandić. Milošević wurde nach lang anhaltenden Protesten am 5. Oktober 2000 durch einen Volksaufstand gestürzt. 2001 wurde er verhaftet und nach Den Haag an das Kriegsverbrechertribunal ausgeliefert. Im März 2006 verstarb er im Gefängnis. (awö/DER STANDARD, Printausgabe, 24.10.2006)