Für Aufregung sorgt auch der Auftritt des Vorsitzenden der Europäischen Volkspartei bei einer Großdemo der Fidesz.

*****
Am Tag nach der missglückten 1956er-Gedenkfeier war die politische Stimmung in Budapest gereizt. Die rechtsnationale Oppositionspartei Fidesz hatte eine Sondersitzung des Parlaments zu den Ausschreitungen in der Nacht beantragt, doch diese wurde ihr nicht genehmigt, jedenfalls nicht am Dienstag. Grimmig polterte Gábor Kuncze, Vorsitzender der mit den Sozialisten regierenden Liberalen (SZDSZ), seine Fraktion sei "nicht geneigt, dazu beizutragen, dass Fidesz das Tempo diktiert". Im Wesentlichen haben sich also die politischen Positionen nicht verändert, am ehesten haben sich die Hassfronten verhärtet.

Die Sozialisten stehen weiter hinter Gyurcsány, der sich beim nächsten Parteitag auch für den Parteivorsitz bewerben will. "Auch wenn Gyurcsány geht, würde es keine Ruhe geben", sagte die Fraktionsvorsitzende Ildikó Lenvai am Morgen nach den Randalen im ungarischen Fernsehen. Auch die Mitte-rechts-Partei MDF, die zwar auf der Oppositionsbank sitzt, aber mit der rechtsnationalen Fidesz Viktor Orbáns nicht kooperieren will, blieb bei ihrer Position: "Das Land ist die Geisel zweier politischer Abenteurer: Ferenc Gyurcsány und Viktor Orbán", sagte der MDF-Fraktionschef Károlyi Herényi. Gyurcsány dagegen gab in seiner Rede im Parlament Orbán die alleinige Schuld an den Ausschreitungen am Montag. Statt mit den demokratischen Kräften zu kooperieren, habe dieser ein Bündnis mit den Radikalen geschlossen, sagte der Premier.

Einig war man sich im Regierungslager darüber, dass die am Montag von Orbán geforderte Volksabstimmung gegen das Budgetsanierungsprogramm der Regierung untragbar sei, weil Haushaltsfragen in einer Demokratie nicht durch Referenden entschieden werden dürften.

Fidesz hatte Orbáns Forderungen nach einem Referendum am Dienstag dem Parlament präsentiert. Orbán will eine Abstimmung über Kernpunkte von Gyurcsánys Programm. Verlangt wird die Beibehaltung des kostenlosen Unterrichts- und Gesundheitswesens sowie des Umstandes, dass Rentner weiter das Recht haben, steuergünstig dazuzuverdienen und dass ungarische Familienbetriebe ein Vorkaufsrecht auf Ackerland bekommen.

Die Fidesz kritisierte in der Sitzung vor allem das Einschreiten der Polizei auf dem Parlamentsplatz und danach auf den Budapester Straßen als "brutal" und "unrechtmäßig". Die Polizei hatte den Parlamentsplatz geräumt, weil die dortigen Dauerdemonstranten Sicherheitskontrollen vor dem Besuch der Staatsgäste bei der offiziellen Feier verhindern wollten. In Ungarn müssen Demonstrationen nicht genehmigt werden, doch kann die Polizei bei Sicherheitsrisiken einschreiten.

"Marionette Orbáns"

Für Aufruhr sorgt aber auch der Auftritt des Vorsitzenden der Europäischen Volkspartei (EVP), Wilfried Martens, auf der von Orbán organisierten Großdemonstration am Montag in Budapest. Der frühere belgische Premierminister Mar-tens - ein stetiger Unterstützer Orbáns - hatte dort in Verkennung historischer Tatsachen den ungarischen Wendekommunisten ihr Verdienst um die friedliche Wende von 1989 abgesprochen und setzte den Aufstand von 1956 mit den jetzigen Demonstrationen gleich. Dafür nannte ihn jetzt Csaba Tabajdi, der die ungarischen Sozialisten im EU-Parlament vertritt, eine "Marionette Orbáns". Das ist ein Etikett, das auch westlichen Christdemokraten zu denken geben sollte. (Kathrin Lauer aus Budapest/DER STANDARD, Printausgabe, 25.10.2006)