Eiskalte Umgebung: Der Grazer Pathologe Kurt Zatloukal holt Gewebeproben aus dem konservierenden flüssigen Stickstoff. Der Wissenschafter baut in der Steiermark eine Biobank auf und vernetzt diese mit internationalen Einrichtungen: ein Schritt in Richtung personalisierte Medizin.

Foto: DER STANDARD/Dieter Zatloukal
Die Genom-Forschung hat ihre Sequenzierungs-phase hinter sich gelassen und ist nun mit Architektenaufgaben beschäftigt: Netzwerke von Biobanken sollen entstehen und langfristig eine Personalisierung der Medizin ermöglichen. Von Graz gehen hier wesentliche Impulse aus.

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Kurt Zatloukal war in den frühen Neunzigerjahren am IMP (Institut für Molekulare Pathologie, Wien) tätig, kehrte wenig später als Professor für Pathologie nach Graz zurück und beschäftigt sich heute mit der Vernetzung von Biobanken. GATiB (Genome-Austria Tissue Bank) heißt sein aktuelles Projekt, finanziert aus dem GEN-AU-Budget: aus Mitteln, die das Wissenschaftsministerium für Genom-Forschung zur Verfügung stellt. Was auf den ersten Blick hin seltsam erscheint, weil die Vernetzung von Biobanken offensichtlich nichts mit Genom-Forschung zu tun hat. Das täuscht allerdings, wie sich bei einem zweiten Hinsehen zeigt.

Biobanken sind umfassende Materialsammlungen, die etwa aus Humangewebe, Blut und anderen Körperflüssigkeiten bestehen. Konserviert mit Formalin oder in flüssigem Stickstoff finden sich in ihnen etwa Tumoren, die Patienten entfernt wurden und nun für Forschungszwecke aufbewahrt werden. Eine moderne Biobank ist zudem eine Datenbank, in der alles Wissenswerte rund um diese Tumoren gespeichert wird. Womit sich aus einem Tumor noch nach Jahren herauslesen lässt, wie es zu seiner Entwicklung kam, welche zellulären Veränderungen sein Wachstum förderten oder dieses einbremsten.

Möglich wird dies mit Methoden der modernen Genom-Forschung, mit DNA-Chips oder Gewebe-Mikroarraytechnologie. Weiß man nach Befunden der Pathologie, welche Krankheit ein Gewebe repräsentiert - etwa einen Brustkrebs -, lässt sich mithilfe dieser Technologien herausarbeiten, welche Gen-Konstellation vermutlich die Tumorentstehung forcierte, welche Konstellation mit einem bestimmten Tumortyp verbunden ist. Allerdings nur dann, wenn man den Tumor mit tausenden anderen Tumorgeweben vergleichen kann.

Will man darüber Bescheid wissen, welche Kombination von Genen - in Zusammenspiel mit anderen Parametern wie Ernährung oder körperlicher Fitness - den Ausbruch des Krebsleidens förderte und, damit zusammenhängend, welche (de facto personalisierten) therapeutischen Eingriffe sich bei welchen Gen-Konstellationen bewährt haben, ist die Arbeit mit riesigen Material- und Datensätzen nötig. Und zwar mit so großen, wie sie nur Netzwerke verwalten können. Weshalb nun auch die Genom-Forschung, die auf hoch personalisierte Behandlungsformen in obigem Sinn abzielt, die Vernetzung von Biobanken zu einer ihrer Hauptaufgaben erklärt hat. Und dementsprechend die originäre Gen-Forschung um Architekten-Tätigkeiten erweitert hat.

Umbau eines Hauses

Wobei diese Tätigkeiten oft um nichts weniger pionierhaft sind als die Forschungen, die in den vergangenen Jahren hinsichtlich des Genoms erfolgt sind. Denn die Vernetzung von Biobanken ist ein Neuland, das eine Vielzahl von Fragen und Problemen aufwirft und dem Umbau eines Hauses ähnelt, in dem schon so gut wie alle Räume und Zimmer da sind, in das sich aber keine neuen Türen, Durchbrüche und Gänge einfügen lassen, ohne dass die Räume nicht doch - zum Teil essenziell - verändert werden.

In solchen Fällen pflegen geschickte Architekten sich auf das dominierende Zimmer zu fokussieren und von diesem ausgehend das Raumgefüge Schritt für Schritt, und sich von einer Form zur nächsten weitertragen lassend, neu zu konfigurieren. Genau das tut Kurt Zatloukal, der ein solches Vernetzungsprojekt von Biobanken vorantreibt. Im "internationalen Haus der Biobanken" verfügt er nämlich schon über einen "Schlüsselraum", ist doch das Archiv der Grazer Pathologie historisch bedingt mit drei Millionen Gewebeproben zurzeit wohl eine der größten und bestdefinierten Gewebesammlungen der Welt.

In der jüngsten Vergangenheit hat Zatloukal diesen "Schlüsselraum" komfortabel ausgestaltet und ihn zu einem modernen "Großarbeitszimmer" umgebaut, das alte pathologische Archiv in eine Biobank zu transformieren begonnen, das neben den Gewebeproben auch modernste Analyseplattformen und umfangreiche IT-Infrastruktur inkludiert. Was es nun erlaubt, von diesem Raum aus Durchbrüche in andere Zimmer vorzunehmen - zu anderen Biobanken, wie sie in Frankreich, den USA, Großbritannien oder Island existieren.

Einen solchen Durchbruch stellt etwa die Arbeit an verschiedenen Standards dar, die die Kommunikation betreffen. Konkret macht es die Vernetzung von Biobanken nötig, dass die Beschreibung von der in der Bank repräsentierten Krankheiten vereinheitlicht wird und alle Beteiligten etwa das gleiche Vokabular bei der Proben-Definition nutzen.

Verbindliche Kriterien

Wie es auch wichtig ist, dass verbindliche Qualitätskriterien existieren - und folglich nicht der eine Tumor umgehend in flüssigem Stickstoff gelagert wird, während der andere eine große Zeitspanne unkonserviert liegen bleibt.

Eine andere Tür, an deren Einbau im GATiB-Projekt intensiv gearbeitet wird, betrifft die gesetzlichen Rahmenbedingungen, mit der Biobanken in einzelnen Ländern konfrontiert sind. Österreich etwa kann auf eine sehr lange liberale Tradition im Umgang mit Obduktion und damit mit Gewebe zurückblicken; in anderen Ländern hingegen ist die Archivierung desselben nicht in der hier zu Lande gängigen Form erwünscht. Hier kommt auch die Politik ins Spiel.

Schließlich gilt es bei der Vernetzung von Biobanken auch noch neue Bioinformatik-Werkzeuge zu designen. Denn mit Gewebeproben und den in diesen enthaltenen Genen zu arbeiten, bedeutet, dass es Datenschutzauflagen zu erfüllen gilt. Etwa, wenn ein Tumor mit hunderten anderen verglichen wird: In keinem Fall darf dann aus der genetischen Konstellation oder aus deren Zusammenspiel mit erfolgten Behandlungen oder Umwelteinflüssen gefolgert werden können, von welchem Patient das Material stammt.

All dies erfolgt einerseits mit Blick auf internationale Vergleichsbeispiele, andererseits aber auch mit dem Pioniergeist eines Architekten und Bauherrns, der speziell originäre Lösungen für sein Bauvorhaben sucht. Ohne aus den Augen zu verlieren, worum es letztlich geht: um die Basis für Datenvergleiche, damit dereinst eine personalisierte Medizin möglich wird. (Christian Eigner/DER STANDARD, Printausgabe, 25. Oktober 2006)