Wien - Einmal wieder gründlich aus feministischer Perspektive über Demokratie nachzudenken ermöglichte vergangenes Wochenende die Tagung "Nachrichten aus Demokratien – Feministische Positionen und Auseinandersetzungen" (26. bis 29.10.2006) in Wien. Um Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Mitbestimmung – allesamt Voraussetzung und zugleich Ziel von Demokratie als legitimer Herrschaftsform – kreisten die Diskussionen bei der von der Erwachsenenbildungseinrichtung "Frauenhetz" organisierten Zusammenkunft von feministischen Denkerinnen. Dass in einer Demokratie alle denken – unabhängig von ihrer (anerkannten) Ausbildung und dem damit verbundenen Status - machte ein Podiumsgespräch am Samstag Nachmittag deutlich, in der Frauen mit Migrationshintergrund vehement auf die ihnen auferlegten Partizipationshemnisse hinwiesen. Im folgenden eine Auswahl an Diskussionen, die sich mit der Loslösung des Begriffs der "Selbstbestimmung" aus dem Kontext der zweiten Frauenbewegung beschäftigten. Von Ina Freudenschuß.

Erwerbsidentität

Unter dem Titel "Gendermainstreaming: Von der Strukturkritik zum Selbstmanagement?" behandelte der Workshop der Schweizer Historikerin Tove Soiland die Frage nach einer "genuin neoliberalen Gleichstellungspolitik". Zur Herstellung dieser würde das Instrument des "Gender Mainstreamings", das vor allem im Kontext der EU einzig und allein die Arbeitsmarktfähigkeit von Frauen, also ihre "Erwerbsidentität" im Blick hätte, herangezogen. Dabei sei "Gender Mainstreaming" von seinen Wurzeln her ein durchaus revolutionärer Ansatz: Entstanden in den Ländern des verarmten Südens und Ostens, forderten Feministinnen in den 1980ern, die makroökonomischen Rahmenbedingungen einer Geschlechterperspektive zu unterziehen, da sich dort die Wurzeln der Geschlechterhierarchien verstecken würden.

Die neoliberale Implementierung dieser Strategie auf EU-Ebene reduziere das Projekt Gleichstellung jedoch auf die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt, ohne zu bedenken, dass das gesamte Wirtschaftssystem auf Geschlechterhierarchien basiert und immerfort Geschlechtersegregation hervorbringt.

Karrierek(n)ick Kinder?

Passend zur grundlegenden Zurückdrängung des Politischen im Neoliberalismus sei das sozial konstruierte "Gender" so gesehen nur noch eine Frage der zu optimierenden Verwaltungsabläufe, der Personalentwicklung in Unternehmen sowie – auf individueller Ebene – des "falschen Bewusstseins". Letzterem nehmen sich sogenannte "Gender"-Seminare an, indem sie Frauen "Freiheit" und die Möglichkeit von Selbstbestimmung suggerieren hinsichtlich Problemlagen, die schon einmal strukturell formuliert waren – Stichwort Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Soiland stellte die These auf, dass heute weniger Normen handlungsbestimmend auf Frauen wirken, sondern vielmehr die Versprechungen auf "Freiheit", auf ein Leben abseits der Opposition, auf Selbstverwirklichung. Diese neoliberal geprägte Vorstellung von "Nimm dein Gender in die eigene Hand" ergebe eine Art "Passförmigkeit" mit einem der zentralsten Ziele der zweiten Frauenbewegung, nämlich Selbstbestimmung für Frauen einzufordern.

Selbstbestimmung als Legitimierung

An dieser Stelle knüpfte ein Vortrag der österreichischen Soziologin Lisbeth N. Trallori an, die Selbstbestimmung im Kontext reprogenetischer Technologien (In Vitro Fertilisation, pränatale Diagnostik, usw.) vorstellte. Seit die ProtagonistInnen jener neuen Verfahren das Recht auf Selbstbestimmung zur Legitimierung ihres Tuns heranziehen, wurde der Begriff "Selbstbestimmung" sukzessive aus dem frauenpolitischen Kontext herausgelöst, so Tralloris These. Wesentlicher Unterschied zu den beiden Konzepten sei jedoch, dass eine feministische Selbstbestimmung als politisches Projekt immer die gesellschaftlichen Verhältnisse in ihre Entwürfe miteinbezogen habe. Der "Kunstgriff" der neoliberalen Wende sei nun genau der, die Subjektkonstruktion von der sozialen Seite abzutrennen. Eine solche Identität ist auf sich selbst zurückgeworfen und kontrolliert sich selbst, die neue "Herrschaftstechnologie" wirkt in und über die eigene Identität. Eine Teilhabe an Öffentlichkeit bzw. am Gesellschaftlichen würde dabei nur mehr über den Markt vermittelt. Tralloris Fazit: "Die Selbstbestimmung hat eine neoliberale Instrumentalisierung erfahren".

Als Handlungsmodell plädierte Trallorie für die (Wieder-)Herstellung einer feministischen Bezüglichkeit, die - wie bereits in der zweiten Frauenbewegung angedacht - Differenzen zwischen Frauen berücksichtigt und gesellschaftsutopische Elemente eint.

"Wir"

Die angekündigten Schwerpunkte der Tagung ließen bereits darauf schließen, dass die Diskussionen eher um die Problematisierung des "feministischen Wirs" kreisen würden als um die Frage nach den konkreten Handlungsmöglichkeiten. Jedenfalls vermittelte das Programm eine umfangreiche und anspruchsvolle Einsicht in die veränderten Bedingungen von Demokratie im Kontext des "neoliberalen Projektes". Eine Frage könnten sich die Veranstalterinnen vielleicht stellen, darüber nämlich, ob ihre Tagung im Sinne einer offenen Erwachsenenbildungseinrichtung die durch die Akademisierung der Feminismusdebatte produzierten Ausschlüsse von Frauen in Frage stellte. Eher nicht, befindet die Autorin dieser Zeilen abschließend.