Erwerbsidentität
Unter dem Titel "Gendermainstreaming: Von der Strukturkritik zum Selbstmanagement?" behandelte der Workshop der Schweizer Historikerin Tove Soiland die Frage nach einer "genuin neoliberalen Gleichstellungspolitik". Zur Herstellung dieser würde das Instrument des "Gender Mainstreamings", das vor allem im Kontext der EU einzig und allein die Arbeitsmarktfähigkeit von Frauen, also ihre "Erwerbsidentität" im Blick hätte, herangezogen. Dabei sei "Gender Mainstreaming" von seinen Wurzeln her ein durchaus revolutionärer Ansatz: Entstanden in den Ländern des verarmten Südens und Ostens, forderten Feministinnen in den 1980ern, die makroökonomischen Rahmenbedingungen einer Geschlechterperspektive zu unterziehen, da sich dort die Wurzeln der Geschlechterhierarchien verstecken würden.
Die neoliberale Implementierung dieser Strategie auf EU-Ebene reduziere das Projekt Gleichstellung jedoch auf die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt, ohne zu bedenken, dass das gesamte Wirtschaftssystem auf Geschlechterhierarchien basiert und immerfort Geschlechtersegregation hervorbringt.
Karrierek(n)ick Kinder?
Passend zur grundlegenden Zurückdrängung des Politischen im Neoliberalismus sei das sozial konstruierte "Gender" so gesehen nur noch eine Frage der zu optimierenden Verwaltungsabläufe, der Personalentwicklung in Unternehmen sowie – auf individueller Ebene – des "falschen Bewusstseins". Letzterem nehmen sich sogenannte "Gender"-Seminare an, indem sie Frauen "Freiheit" und die Möglichkeit von Selbstbestimmung suggerieren hinsichtlich Problemlagen, die schon einmal strukturell formuliert waren – Stichwort Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Soiland stellte die These auf, dass heute weniger Normen handlungsbestimmend auf Frauen wirken, sondern vielmehr die Versprechungen auf "Freiheit", auf ein Leben abseits der Opposition, auf Selbstverwirklichung. Diese neoliberal geprägte Vorstellung von "Nimm dein Gender in die eigene Hand" ergebe eine Art "Passförmigkeit" mit einem der zentralsten Ziele der zweiten Frauenbewegung, nämlich Selbstbestimmung für Frauen einzufordern.
Selbstbestimmung als Legitimierung
An dieser Stelle knüpfte ein Vortrag der österreichischen Soziologin Lisbeth N. Trallori an, die Selbstbestimmung im Kontext reprogenetischer Technologien (In Vitro Fertilisation, pränatale Diagnostik, usw.) vorstellte. Seit die ProtagonistInnen jener neuen Verfahren das Recht auf Selbstbestimmung zur Legitimierung ihres Tuns heranziehen, wurde der Begriff "Selbstbestimmung" sukzessive aus dem frauenpolitischen Kontext herausgelöst, so Tralloris These. Wesentlicher Unterschied zu den beiden Konzepten sei jedoch, dass eine feministische Selbstbestimmung als politisches Projekt immer die gesellschaftlichen Verhältnisse in ihre Entwürfe miteinbezogen habe. Der "Kunstgriff" der neoliberalen Wende sei nun genau der, die Subjektkonstruktion von der sozialen Seite abzutrennen. Eine solche Identität ist auf sich selbst zurückgeworfen und kontrolliert sich selbst, die neue "Herrschaftstechnologie" wirkt in und über die eigene Identität. Eine Teilhabe an Öffentlichkeit bzw. am Gesellschaftlichen würde dabei nur mehr über den Markt vermittelt. Tralloris Fazit: "Die Selbstbestimmung hat eine neoliberale Instrumentalisierung erfahren".
Als Handlungsmodell plädierte Trallorie für die (Wieder-)Herstellung einer feministischen Bezüglichkeit, die - wie bereits in der zweiten Frauenbewegung angedacht - Differenzen zwischen Frauen berücksichtigt und gesellschaftsutopische Elemente eint.
"Wir"