Seit über einem Jahr wird im Kosovo gekämpft; es ist dies der vierte Krieg, den der Balkan seit 1991 erleidet; in diesen - einem ewig gleichen Muster folgenden - Konflikten haben inzwischen sechs Millionen Menschen ihre angestammte Heimat und 300.000 Männer, Frauen und Kinder ihr Leben verloren. Alleine aus dem Kosovo sind in den vergangenen Jahren 770.000 Menschen vertrieben worden; tagtäglich erfahren wir von neuem Flüchtlingselend, neuen Brandschatzungen, neuen Massakern. Seit genau einem Monat fliegt die Nato Luftangriffe gegen Ziele in Jugoslawien, um der Massenvertreibung ein Ende zu bereiten. Noch ist ihr dies allerdings nicht gelungen.

Viele stellen sich die Frage, warum die Staatengemein-schaft nicht schon früher und energischer gegen Slobodan Milosevic aufgetreten ist. Viele fragen auch, was die österreichische Außenpolitik getan hat, um der verhängnisvollen Entwicklung im Kosovo und in Belgrad entgegenzuwirken. Was Österreich anlangt, möchte ich unter anderem daran erinnern, daß

O Alois Mock die schweren Menschenrechtsverletzungen im Kosovo bereits 1990 zum Gegenstand eines Verfahrens in der KSZE gemacht hat; Österreich diese Frage auch seither immer wieder in der UNO-Generalversammlung, in der Menschenrechtskommission und im Rahmen der Europäischen Union aufgebracht hat; Österreich im EU-Außenministerrat im März '98, gleich nach Ausbruch der Kämpfe, einen - teils noch heute aktuellen - "10-Punkte-Plan" vorgelegt hat; ich im Juni '98 als erster Außenminister eines EU-Staates im Kosovo war und dort mit Vertretern der Kosovo-Albaner und der Belgrader Regierung Gespräche geführt habe;

O wir während unserer EU-Präsidentschaft in Pristina eine Außenstelle eröffnet und der Union so erstmals eine ständige Präsenz im Kosovo geschaffen haben; unter unserem Vorsitz zudem der erste Sondergesandte der EU für den Kosovo bestellt worden ist;

O ich im Dezember des Vorjahres als Ratsvorsitzender mit allen wichtigen Führern der demokratischen Opposition Jugoslawiens in Wien zu einem eingehenden Meinungsaustausch zusammengetroffen bin; unter unserer Mitwirkung noch im März dieses Jahres in Wien eine - von allen im Kosovo vertretenen Religionsgemeinschaften beschickte - "Kosovo-Friedens-und-Toleranz-Konferenz" veranstaltet worden ist;

O wir uns schließlich im Rahmen der EU seit langem intensiv für Montenegro einsetzen und schon im August 1998 in Alpbach ein Zusammentreffen zwischen Präsident Djukanovic und Vertretern der Kosovo-Albaner organisiert haben.

Diese und andere Bemühungen haben die Gewalttaten, die wir heute im Kosovo erleben, leider genauso wenig verhindern können wie alle anderen Anstrengungen der Staatengemeinschaft. Die Geschichte lehrt uns freilich auch, welch gewaltiger Kraftanstrengungen es bedarf, wenn eine Gemeinschaft demokratischer Staaten mit menschenverachtenden Regimen, die nicht einmal vor Völkermord zurückschrecken, zu Rande kommen muß.

Deshalb halte ich es für besonders wichtig, daß die 15 EU-Staaten in dieser Auseinandersetzung weiterhin eine einheitliche Linie verfolgen. Alle EU-Mitglieder sind sich einig, daß Belgrad auf die bekannten Forderungen des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, der Union und der Nato eingehen muß, bevor die Militärschläge der Allianz suspendiert werden und Verhandlungen über eine politische Lösung beginnen können.

Angesichts aller Erfahrungen, welche die internationale Gemeinschaft mit Slobodan Milosevic gemacht hat, halte ich es für undenkbar, im Kosovo auf eine - nach den Vorschlägen Kofi Annans gestaltete - internationale militärische Präsenz zu verzichten. Österreich ist bereit, sich an einer solchen, nach dem Muster von SFOR konstituierten Friedenstruppe zu beteiligen.

Weiters wird es notwendig sein, daß der Kosovo einer internationalen Verwaltung unterstellt wird, in der die EU eine wichtige Aufgabe übernehmen sollte. Auch hiezu wird Österreich einen angemessenen Beitrag leisten.

Bis zu einer solchen Lösung wird es aber noch beträchtlicher Anstrengungen bedürfen. Dabei kann Rußland eine wichtige Aufgabe erfüllen; desgleichen kommt den Vereinten Nationen eine Schlüsselrolle zu.

Selbstverständlich ist auch Österreich bereit, nach besten Kräften im Interesse des Friedens zu einer politischen Lösung beizutragen. Klar muß uns dabei aber sein, daß es für das EU-Mitglied Österreich keine - vom gemeinsamen Standpunkt der Europäischen Union losgelöste - "Vermittlerfunktion" geben kann. Wolfgang Petritsch konnte im Verhandlungsprozeß gerade auch deshalb einen wirksamen Beitrag leisten, weil er für die Union in ihrer Gesamtheit agiert hat - und übrigens auch in engster Absprache mit dem US-Verhandlungsführer, Chris Hill, vorgegangen ist.

Auch hier können wir unsere Stärken am besten zur Geltung bringen, wenn wir nicht im Alleingang, sondern von der Plattform der Europäischen Union agieren. Darum wird sich Österreich an der EU-internen Debatte über einen "Stabilitätspakt" für Südosteuropa aktiv beteiligen. Wir tun dies umso lieber, als die vorliegenden Vorschläge an die - von mir während des österreichischen Vorsitzes gemachten - Vorschläge für eine "Partnerschaft für Europa" anknüpfen; ein Konzept, das damals noch auf Skepsis gestoßen ist, sich jetzt aber als sehr aktuell erweist.

Für entscheidend halte ich es auch, daß unsere Planungen für die "Zeit danach" das Potential bestehender regionaler Foren, wie die Zentraleuropäische Initiative, die Southeast European Cooperative Initiative mit ihrem Koordinator Erhard Busek und den Royaumont-Prozeß der OSZE, optimal nützen. Deshalb werden wir am 7. Mai in Zusammenarbeit mit dem deutschen EU-Vorsitz und der EU-Kommission in Wien ein Koordinationstreffen aller relevanten Organisationen durchführen - auch als Beitrag zur Vorbereitung der geplanten EU-Südosteuropakonferenz, für welche Wien von der Bundesregierung bekanntermaßen gleichfalls als Tagungsort angeboten worden ist.

Zuvorderst konzentrieren sich unsere Anstrengungen aber auf die Bewältigung der gewaltigen humanitären Herausforderung, mit der uns die Massenvertreibungen konfrontieren. Die Großzügigkeit, mit der unsere Mitbürger "Nachbar in Not" unterstützen, und die Gastfreundschaft, mit der die Vertriebenen in Österreich aufgenommen werden, erfüllt mich als Außenminister dieses Landes mit Stolz. Auch hier glaube ich aber, daß wir schon an morgen denken müssen. Ich würde mir zum Beispiel wünschen, daß das großartige "Österreich-Camp" in Shkodra zu einem echten "Österreich-Dorf" innerhalb des Kosovo weiterentwickelt werden kann, sobald die Vertriebenen in ihre Heimat zurückkehren.

Auch sonst glaube ich, daß es in unserem ureigensten Interesse liegt, uns in das geplante Wiederaufbauprogramm für den Balkan einzubringen. Dies ist eine Investition für die Zukunft; eine Investition, von der unsere Nachbarn, aber auch wir selbst profitieren werden.