Budapest - Nach dem Sturm auf das Gebäude des ungarischen Staatsfernsehens am 19. September haben rechtsextremistische Organisationen eine Art "Netz" gespannt, schreibt die ungarische linksliberale Tageszeitung "Nepszabadsag" (Donnerstag-Ausgabe). Dieses "Netz" habe auch Kontakte zu den oppositionellen rechtskonservativen Parlamentsparteien und bekannten politischen Organisationen "gesucht und gefunden".

Der Sturm auf das TV-Gebäude im September hatte im Rahmen von Anti-Regierungs-Demonstrationen stattgefunden. Nächtelange Ausschreitungen in der Budapester Innenstadt folgten, bis die Polizei den Randalierern Einhalt gebieten konnte.

Verbindungen zur Opposition

Der sozialistische Kanzleramtsminister György Szilvasy berief sich auf "Geheimdienstquellen", als er am Dienstag auf der Sitzung der Parlamentsausschüsse für Nationale Sicherheit und Menschenrechte behauptet hatte, dass das "Netz" verschiedene Gruppen umfasse, die zum einen friedliche Demonstrationen organisieren wollten, zum anderen aber auch vor Waffengewalt nicht zurückschrecken würden. Der Rechtsberater dieser rechtsextremistischen Elemente sei ein Mitglied der Regierung von Ex-Premier Viktor Orban (1998-2002) gewesen. Orban ist Vorsitzender der großen rechtskonservativen Oppositionspartei Fidesz-Ungarischer Bürgerverband.

"Orban-Gate"

Ein "bekannter Randalierer" wiederum würde Kontakte zu einem oppositionellen Parlamentsabgeordneten unterhalten. Agnes Vadai, eine Abgeordnete der Sozialisten (MSZP), sprach am Donnerstag bereits von einem "Orban-Gate" wegen der Kontakte zwischen Fidesz und den Randalierern. Laut Szilvasy würde der Ausbau dieses rechtsextremen "Netzes" auch gegenwärtig verlaufen, weshalb er die Bürger aufforderte, nur "mit entsprechender Umsicht" an unangemeldeten Demonstrationen teilzunehmen.

Rechtsextreme Parteien

Die Gruppen hätten Verbindungen zu einzelnen lokalen Organisationen von Fidesz, sowie zu einzelnen Amtsträgern des Weltverbandes der Ungarn (MVSZ) und zu einzelnen Anführern des Ungarischen Bauernverbandes (MAGOSZ) aufgebaut. Dazu kämen Beziehungen zu rechtsextremen Parteien und Gruppen wie der bis 2002 auch im Parlament vertretenen Wahrheits- und Lebenspartei (MIEP), der Bewegung "Jobbik" (Für ein besseres Ungarn), der irredentistischen Jugendbewegung "64 Varmegye" ("64 Burgbezirke"/"64 Komitate" - benannt nach der Regionaleinteilung von "Groß-Ungarn" vor dem Frieden von Trianon von 1920, bei dem Ungarn 2/3 seiner Fläche verlor, Anm.), der Gruppe "Lelkiismeret 88" (Gewissen 88), und dem Internet-Portal kuruc.info.

Kritik

Zu heftiger Kritik der Opposition war es gekommen, weil die Sitzung der Parlamentsausschüsse am vergangenen Dienstag im Zusammenhang mit dem Einschreiten der Polizei gegen unerlaubte Demonstrationen und Ausschreitungen in der Budapester Innenstadt am 23. Oktober hinter verschlossenen Türen verlief. Zudem sollten die Dokumente über die Sitzung für 80 Jahre als Staatsgeheimnis eingestuft werden.

Heftige Auseinandersetzungen

Laut Szilvasy sei eine geschlossene Sitzung begründet gewesen, da diese im Zusammenhang mit "Interessen der nationalen Sicherheit" gestanden sie, die wiederum "mit der Anwendung genehmungspflichtiger Mittel" verbunden gewesen seien. Am Rande der Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Ungarn-Revolution 1956 war es am Montag vergangener Woche zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten gekommen. Die Protestierer warfen mit Steinen, Ziegeln und Molotow-Cocktails und bauten Barrikaden. Die Polizei setzte Tränengas, Wasserwerfer und Gummigeschosse ein. Das Auftreten der Polizei und einzelne Übergriffe wurde im Nachhinein besonders von der Opposition, aber auch von vielen Medien kritisiert.

Brutale Polizei

Während die Polizei Beweise vorlegte, dass sie am 23. Oktober die Randalierer nicht in Richtung der zeitgleich mit den ersten Zusammenstößen stattfindenden Fidesz-Großveranstaltung getrieben hatte, wurde zugleich angekündigt, dass Einzelfälle polizeilicher Brutalität untersucht und im begründeten Fall gerichtlich verfolgt werden müssen. Die rechtskonservative Opposition hatte gegen die geschlossene Ausschusssitzung gestimmt und von "grundlosen Anschuldigungen" der Regierungsparteien gesprochen. Die regierenden Sozialisten wollen nun die Möglichkeiten untersuchen, wie ein Teil des Protokolls der Sitzung dennoch veröffentlicht werden kann.

Verprügelter Jesuitenpfarrer

"Nepszabadsag" berichtet weiters von "widersprüchlichen Informationen" bezüglich der Polizeigewalt. Fidesz hatte als Beispiel für die Brutalität der Polizei zuvor den Jesuitenpater Laszlo Vertesaljai präsentiert. Dieser hatten in den Medien immer wieder behauptet, "von der Polizei halb tot geschlagen" worden zu sein. Nachdem sich Zeugen meldeten und von der Polizeiaktion berichteten, nahm der katholische Priester seine Behauptung wieder zurück. Nach den Zeugenaussagen war der Pater von der Polizei bloß zweimal "gegen die Beine getreten worden", da er der Aufforderung der Behörden, den Platz zu räumen, nicht nachkam. Vertesaljai schiebt nun die Schuld auf den Vorsitzenden der rechtskonservativen oppositionellen Christdemokratischen Partei (KDNP), Zsolt Semjen, der den Fall mit "rhetorischer Übertreibung" geschildert habe.

Lügenaffäre

Die Anti-Regierungs-Proteste in Ungarn hatten Mitte September begonnen. Damals war eine Tonbandaufnahme einer internen Rede von Ministerpräsident Ferenc Gyurcsany an die Öffentlichkeit gelangt, in der er vor sozialistischen Fraktionskollegen "Lügen" über die Lage des Landes in den vergangenen Jahren zugegeben hatte. Gyurcsanys sozialliberale Regierung war im April wiedergewählt worden. (APA)