Unter den Akten der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland findet sich auch jener von Ida Mankiewicz, die 1943 kurz vor ihrem Tod im KZ Theresienstadt ihrem in die USA emigrierten Enkel Marcel Prawy eine letzte Nachricht hinterlassen hat: "Es geht mir gut." Von Alexandra Caruso und Hubertus Czernin.
Marcel Prawy in der "Schönbrunner-Loge" im Hotel Sacher am späten Samstagnachmittag: Dinnerjacket, hängende lila Fliege, dunkle Hose
und neben ihm auf einem Stuhl die Baseballkappe. Die Gesichtsfarbe unterscheidet sich nur unwesentlich von jener des Jacketts, die Augen
tränen. "Der Opernführer", wie er hierzulande liebevoll genannt wird, liest trotz seiner 88 Jahre noch ohne Brille. "Es ist so ungeheuerlich! Mit
wem bespricht man das . . . ? Sie hat natürlich nicht in der Seegasse gewohnt, das war ein Lager. Ihre Adresse war Brahmsplatz 7, wo später
Leonie Rysanek gewohnt hat . . . Außerdem ist sie nicht in Paris geboren, sondern in Berlin."
Prawy, der 1911 als Marcel Frydmann Ritter von Prawy zur Welt gekommen ist und dessen gleichermaßen musikalischer wie opernbegeisterter
Vater Ministerialrat im Verwaltungsgerichtshof war, hält Akten über seine Großmutter Ida Mankiewicz in Händen. Dokumente, die er noch nie
in seinem Leben gesehen hat und von deren Existenz er auch nichts wusste. Sie stammen aus der "Zentralstelle für jüdische Auswanderung" im
Dritten Reich und beschreiben in der Kürze amtlicher Formulare die letzte Lebensphase der alten Dame, ihren Aufenthalt in der
Krankenabteilung des Altersheimes des jüdischen Ältestenrates in der Seegasse im 9. Bezirk, ehe sie am 10. September 1942 nach
Theresienstadt deportiert wurde.
Akt Mankiewicz: Enteignung erledigt
Auf vielen Seiten ist die Enteignung des beweglichen Vermögens von Ida Mankiewicz beschrieben, jener Wertpapiere, die sie einst bei
Länderbank, Creditanstalt-Bankverein und in der Preußischen Staatsbank angelegt hatte. "Das Depot ist nunmehr erledigt; ein Barguthaben
besteht nicht", heißt es in einer kurzen Nachricht der Preußischen Staatsbank an den Oberfinanzpräsidenten Wien-Niederdonau am 31. Mai
1943. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich Ida Mankiewicz bereits acht Monate lang in dem vom gebürtigen Österreicher Siegfried Seidl
kommandierten Konzentrationslager Theresienstadt. Sechs Monate später ist Ida Mankiewicz tot.
Je länger Marcel Prawy in den kopierten Akten liest, die bis zum Beginn dieses Jahres im Keller der Finanzlandesdirektion lagen, umso schwerer
wird sein Atem. Seine Großmutter, die ihm in der Kindheit und Jugend so viel von Richard Wagner und den Bayreuther Sängern der
Jahrhundertwende erzählt hatte, hatte ihm aus Theresienstadt sogar eine Postkarte geschickt: "Es geht mir gut!" Da war Prawy schon lange aus
Österreich weg. Kurz nach dem "Anschluss" war er geflohen und als Sekretär des Tenors Jan Kiepura über Frankreich nach Italien und
schließlich in die USA emigriert.
1946 kehrte Prawy als amerikanischer Soldat nach Wien zurück: "Ich habe keine Rachegelüste gehabt und ich wollte meine Nase nicht in Dreck
stecken. Ich habe auch nur zaghafte Versuche unternommen, das gestohlene Eigentum zurückzubekommen." Eigentlich, so sagt er, sei er
ausschließlich seiner Schwester Edith wegen heimgekehrt, die die NS-Zeit bei christlichen Freunden versteckt überlebt hatte. Prawy brachte sie
später nach Amerika - "sie wurde die Amerikanischste der Familie. Sie hat niemals mehr daran gedacht zurückzukehren." Der österreichische
Charakter, der österreichische Umgang mit der eigenen NS-Schuld, die Bevorzugung der NS-Mitläufer und Profiteure in den Nachkriegsjahren
trotz der von den Alliierten verlangten radikalen Entnazifizierung blieben ihm ebenso wenig verborgen wie die Benachteiligung und subtile
Diskriminierung, die Vertriebene oftmals erfahren mussten: "Glauben Sie, es hätte jemand nach dem Krieg Bruno Walter, den letzten Direktor
der Staatsoper vor dem ,Anschluss', den großen Bruno Walter, als Direktor der Oper zurückgerufen? Die Wahl war zwischen den
Nazidirigenten Böhm und Krauss. Es wurde Böhm, der Direktor der Oper unter den Nazis war - ich war übrigens befreundet mit ihm, aber wir
wussten beide, mit wem wir es zu tun hatten."
Nach dem Krieg, so meint er weiter, habe in Österreich eine "Orgie der Verlogenheit" geherrscht: "Die Mauer des Schweigens war noch viel
größer als heute. Heute lebt man gut in Österreich, egal unter welcher Regierung. Jetzt kann man wirklich zu reden beginnen."
Der alte Herr hält die Kopie eines Briefes des Wiener Rechtsanwaltes Oskar Franz Trnka aus dem Jahr 1947 in Händen. Nie habe er in den
Nachkriegsjahren, an Entschädigungen oder Wiedergutmachung gedacht, erzählt Prawy: "Ich war überzeugt, von den Österreichern bekommt
man nichts. Wir wussten, die Nazis waren Verbrecher, aber in den zehn Jahren nach 1945 haben es die Hiesigen verhindert, dass man etwas
zurückbekommt."
Trnka, ein Freund des Vaters, habe ihn dennoch gedrängt, aktiv zu werden - und so wurde jener Brief an die Finanzlandesdirektion für Wien,
Niederösterreich und Burgenland geschrieben, den er nun fast 53 Jahre später in Händen hält. Dessen Überschrift: "In Sachen Marcel
Frydmann-Prawy."
Trnkas Brief zeigt, dass es in den ersten Nachkriegsjahren noch möglich war, die Wege enteigneter Vermögensbestandteile nachzuvollziehen.
Punkt für Punkt führte der Rechtsanwalt alle Aktien, Anleihen und Genussscheine an, über die Ida Mankiewicz bis zum März 1938 verfügt hatte.
Das Vermögen sei zugunsten des Deutschen Reichs eingezogen worden, "worauf es an den Oberfinanzpräsidenten Wien-Niederdonau
abgeliefert werden musste": "Ich bitte daher um Mitteilung, ob diese Vermögenschaften noch bei der Finanzlandesdirektion vorhanden sind und
wenn nicht, an wen ich mich zwecks Rückstellung dieser Wertpapiere als Erbenmachthaber des Dr. Frydmann-Prawy und seiner Schwester
Edith Prawy wenden muss."
"Kein Vermögen im Inlande"
Die Antwort der Finanzlandesdirektion fiel amtlich knapp aus: "Frau Ida Mankiewicz wurde der Betrag von 49.056,- eingezogen, welcher nach
den seinerzeitigen Weisungen des Reichsministers Berlin, an die Deutsche Reichsbank Berlin, abgeführt wurde. Ebenso wurden RM 300,- - 4
1/2 % Anleihe des Deutsch. Reiches, an die Reichshauptkasse Berlin abgeführt. Somit befinden sich keine Vermögenswerte der Frau Ida
Mankiewicz im Inlande. Wenn Gesetze erscheinen, die auf diesen Fall Anwendung finden, bleibt es Ihnen unbenommen, geeignete Anträge zu
stellen."
Immer wieder blickt Marcel Prawy bestürzt auf den Akt seiner Großmutter. Er fragt, an wen man sich denn bezüglich weiterer Informationen
wenden könne: "An die Schaumayer oder an den Muzicant?" In die Trauer um seine in Theresienstadt ermordete Großmutter mischt sich auf
einmal der ihm eigene Humor. Kurz lächelt er verschmitzt und meint: "Natürlich, ich weiß schon, an wen man sich wenden kann: An die 14 in
Brüssel oder an den Weisenrat! Geld kriegt man nur aus Brüssel."
Ende der Serie