Daniela Kalmar, Rafael Schwarz, Yvonne Feiger: Drei Proponenten eines mit neuem Selbstbewusstsein erfüllten jüdischen Jugendlebens in Wien.

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Das Erinnern sei allerdings nicht nur Aufgabe der jüdischen Gemeinde, finden sie.

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Wien - Die Zeitrechnung beginnt mit der Entstehung der Welt, und diese setzt, wenn es nach dem jüdischen Kalender geht, vor genau 5767 Jahren ein. So lange gibt es auch das Judentum, und "es hat immer wieder überlebt", sagt Rafael Schwarz, Kultusvorsteher der Israelitischen Kultusgemeinde und in dieser Funktion auch Vorsitzender der Kommission für Jugend in Wien. Der Grund dafür ist, dass man immer an den Traditionen festgehalten habe; an die eigene Geschichte und Vergangenheit erinnert habe, liefert er sogleich eine Erklärung

Das jüdische Jugendleben, bewusst als solches gelebt, unterteilt sich in die traditionell-zionistische, sekulär-zionistische und religiös-zionistische Richtung, erklären die vier Jugendlichen, die es an einem Oktoberabend unternommen haben, ihre Organisationen vorzustellen.

So gesehen sind sie, wie sie sich eingefunden haben, symbolisch gesprochen eine kleine Diaspora. Denn in Wien gibt es fünf verschiedene Jugendgruppen, die sich entweder an Schüler, Studenten oder an junge berufstätige Juden richten.

Oliver Kratz ist in einer der drei Jugendgruppen für die 16- bis 18-Jährigen, die Bnei Akiva (hebräisch für "Kinder Akivas"). Hashomer Hatzair ("Der jugendliche Wächter") und Jad Be Jad ("Hand in Hand") sind die anderen zwei Organisationen, die allerdings nicht sehr religiös sind, erklärt der 18-Jährige. Die Kipa, die Kopfbedeckung der gläubigen Juden, ziert auch sein Haupt.

Die Treffen seiner Gruppe finden regelmäßig am Samstagnachmittag statt, und die Themen, welche die Jugendlichen aufs Tapet bringen, betreffen durchaus Dinge, die sie im Alltag beschäftigen. Doch vordergründig ist es die Auseinandersetzung mit der Religion und dem Glauben.

Beten und feiern

Die Gespräche über jüdische Geschichte und die Traditionen stehen im Mittelpunkt, vor allem, weil viele Jugendliche darüber nicht Bescheid wissen. Es wird zusammen gebetet und auch gemeinsam gefeiert. Oft komme es vor, dass sich die jungen Leute in keinem religiösen Umfeld befinden, deren Eltern beispielsweise keine jüdischen Feste feiern und auch nicht die Synagoge besuchen.

Das wird auch als einer der Gründe angegeben, warum sich einige nicht trauten, allein in die Synagoge zu gehen. "Die Schabbat-Essen am Freitag so wie alle Feste machen nur in der Familie Sinn", erzählt Kratz. Deswegen werden die Jugendlichen, in deren Familien der Glaube nicht gelebt wird, in andere Familien eingeladen, um mit ihnen gemeinsam zu feiern. Am Laubhüttenfest allein in der Laubhütte zu sitzen sei nicht der Sinn der Sache, sagt Kratz. "Sie sollen sich in ihrer eigenen Religion nicht allein fühlen."

Die etwas Älteren, die jungen Berufstätigen, spricht "Moadon" ("Club"), die Gruppe von Daniela Kalmar an, die auch unter den unterschiedlichen Strömungen Netzwerke schaffen und Projekte, wie etwa Synagogentouren, veranstalten.

Die jüdischen Hochschüler-Innen haben ein etwas anderes Programm, erzählt Yvonne Feiger. Es sei nicht ausschließlich an Studierende gerichtet und sei sowohl kulturell als auch politisch. Manchmal, und da muss sie lachen, werde sie im Alltag auch mit Vorurteilen konfrontiert. Ob sie sich auf Diskussionen einlasse, hänge dann davon ab, ob die Leute aus Unwissen und Interesse Fragen stellen, wie etwa: "Stimmt es, dass Juden krumme Nasen haben", oder ob sie provozieren wollen. "Solche Dinge sind schwierig zu argumentieren", ist sie hin- und hergerissen.

In Österreich gebe es einen latenten, den "Stammtisch-Antisemitismus", sagt Schwarz. Den Israel-Konflikt würden viele, die nicht als Antisemiten gelten wollen, als Legitimation sehen, gegen Juden etwas sagen zu dürfen, erklärt er einen Aspekt. Doch anders als die Elterngeneration, die durch die Verfolgung der Juden im Zweiten Weltkrieg zu eingeschüchtert gewesen sei, um sich zum Judentum zu bekennen, steht seine Generation viel offener zu ihrem Glauben. "Ich spüre einen Wandel", pflichtet Feiger bei. Auch durch das Selbstbewusstsein, das sie von Simon Wiesenthal ableite.

Das Erinnern und Mahnen der Verbrechen, die an Juden begangen wurden, werde immer wichtiger, betont Schwarz, doch es könne nicht Aufgabe der jüdischen Gemeinschaft sein, gegen Antisemitismus vorzugehen. "Vor 60 Jahren wurden sechs Millionen Juden ermordet. Das geschah nicht im Mittelalter, das war gestern", erinnert er. Gedenktage sollten auch von anderen Gemeinden organisiert werden. (Marijana Miljkovic, DER STANDARD - Printausgabe, 3. November 2006)