Scherzbold und Trompeter Dave Douglas bot in Berlin höchste Qualität.

Foto: Jazzfest/ Suzannah Kincannon
Das Publikum bekam zahllose Musikinfos zwischen Tradition und Moderne geboten.



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Berlin - Dieser Tage ist Peter Schulze durchaus froh, die Dinge aus der Distanz sehen zu können, die da die Berliner Gemüter in Sachen Kultur bewegen. Während nach Ablehnung der Berliner Finanzklage auf Teilübernahme der Schuldenlast von etwa 60 Mrd. Euro durch den Bund der Druck auf die Kulturbudgets zunimmt, die Bundeshauptstadt etwa ihren 50-Millionen-Anteil zur Sanierung der Staatsoper "Unter den Linden" verweigert, während SPD und PDS im Zuge der Koalitionsverhandlungen um das Amt des Kultursenators feilschen, kann Schulze entspannt bleiben:

Wird doch das Jazzfest Berlin, dessen Programm er seit 2003 (und bis 2007) verantwortet, unter dem Dach der Berliner Festspiele großteils über die Bundeskulturstiftung finanziert. Auch wenn die 400.000 Euro Gesamtbudget (davon 230.000 vom Bund, 60.000 von der ARD) für diese 1964 gegründete Institution der europäischen Festivalszene bescheiden anmuten.

Zum Vergleich: Das Budget des Jazzfests Wien belief sich 2006 sich auf 950.000 Euro, das des Jazzfestivals Saalfelden auf 550.000. So macht Schulze aus der Not eine Tugend, indem er auf "Information statt Repräsentation" setzt: "Jazz im Film", "New Orleans" und "Alpenländer" hießen 2006 die Programm-Schwerpunkte, derer man großteils im und um das Haus der Berliner Festspiele in Wilmersdorf, so auch in den Clubs "Quasimodo" und "A-Trane", anhörig wurde.

Zum einen sorgte die Premiere von Julian Benedikts materialreichem, aber in der ahistorischen Anlage problematischem Film "Play Your Own Thing - Eine Geschichte des europäischen Jazz" für Gesprächsstoff, New Orleans war u. a. in Gestalt der Sänger-Pianisten-Urgesteine Eddie Bo und Allen Toussaint präsent.

Unter "Alpenländer" wurde ein (flüchtiger) Blick auf die Schweiz und Österreich, vertreten durch Wolfgang Puschnig und die Amstettner Musikanten, das Trio "Depart", Max Nagl sowie das "Radio String Quartet", geworfen. Highlights bedeuteten zudem das Gastspiel von Trompeter Dave Douglas, der, u. a. mit Uri Caine als Quintettpartner, jede Note seiner immer wieder lustvoll in freie Gefilde ausfasernden Klanggedanken mit praller, satter Energie füllte, sowie das Konzert zum 40. Geburtstag des legendären Globe Unity Orchestra.

Entdeckungen, die ihren Namen verdienten, konnte man indessen andernorts, in der 2004 eröffneten Berlinischen Galerie in Kreuzberg machen: Dort vernahm man aus dem Mund eines jungen Mannes arioses Pathos, basstiefes Gebrabbel und immer wieder zischende, ploppende Sounds, die in mitunter kaum von jenen zu unterscheiden waren, die da aus dem präparierten Inneren eines Konzertflügels kamen:

Kleinere Dimension

Vokalist Alex Nowitz und Pianistin Maya Mavas stellten sich derart beim "Total Music Meeting" (TTM), dem anderen Berliner Festival-Klassiker, vor: 1968 als Gegenfestival zum Jazzfest gegründet, hat sich das TTM (gemeinsam mit dem Label FMP) längst zu einer internationalen Legende in Sachen frei improvisierter Musik entwickelt.

Obwohl naturgemäß kleiner dimensioniert als das Jazzfest - 900 Besucher gegenüber rund 11.000 -, hat Helma Schleif, die anno 2000 die Regentschaft von Gründer Jost Gebers übernommen hat, mit härteren Bedingungen zu kämpfen. Der Grund: Ihr Festival wird von der Stadt Berlin finanziert, und zwar aus jenem, mit ganzen 100.000 Euro dotierten Topf, der für Jazzförderung reserviert ist.

Schleif: "Ich denke, dass nach dem Urteil in Karlsruhe der Druck weiter zunehmen wird. Wobei es schon jetzt hart genug ist. Ich muss den Zuschuss jedes Jahr neu beantragen, es fehlt Planungssicherheit." 25.000 Euro erhält das TTM 2006 von der Stadt Berlin, inklusive Sachsponsoren beläuft sich das Budget auf magere 45.000 - bei einem hochkarätigen Programm, das neben Wiederbegegnungen mit Vokalistin Sainkho Namchylak oder dem virtuosen Trio de Clarinettes eben auch zahlreiche Neubekanntschaften ermöglicht. Fragt sich nur, weshalb TTM und Jazzfest heute zwar in "friedlicher Koexistenz" (Peter Schulze), aber noch immer in zeitlicher Überschneidung stattfinden - so, als wäre der alte Gegensatz zwischen freier und tonal gebundener Improvisation wie einst in den 60ern immer noch der zwischen "Avantgarde" und "Tradition" und als solcher nicht längst überholt, und als dürften sich Publikum und Medien nicht für beide Metiers gleichermaßen interessieren.

Diese zusammengenommen, in zeitlicher wie inhaltlicher Abstimmung, könnten eines der spannendsten Jazzereignisse des Planeten ergeben. Zumal an der Budget-Front wohl Einigkeit herrscht. Schulze: "Es gilt heute auch und gerade im Jazz, der Ökonomisierung der Kultur entgegenzuwirken. Kultur ist nicht - wie für die meisten Politiker - das Sahnehäubchen obendrauf, sondern essenzieller Bestandteil menschlicher Existenz." (Andreas Felber aus Berlin/ DER STANDARD, Printausgabe, 7.11.2006)