Ankara - Mehr als hunderttausend Menschen haben am Samstag in Ankara Abschied vom ehemaligen türkischen Ministerpräsidenten Bülent Ecevit genommen. Das Staatsbegräbnis für den am vergangenen Sonntag 81-jährig verstorbenen fünfmaligen Regierungschef hatte teilweise den Charakter einer Protestkundgebung gegen die islamisch orientierte Regierung von Premier Recep Tayyip Erdogan, der den Laizisten Ecevit 2003 abgelöst hatte. Die Türkei sei ein säkularer Staat und werde dies bleiben, riefen die Trauergäste, als Erdogan vor der Kocatepe-Moschee in Ankara eintraf. Die Proteste richteten sich gegen mehrere Regierungsmitglieder und Parlamentspräsident Bülent Arinc. Rund 10.000 Polizisten waren im Einsatz.

In einem langen Trauerzug wurde der in eine türkische Flagge gehüllte Sarg zum Nationalfriedhof gebracht. Zuvor erwiesen Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer und die höchsten Würdenträger des Staates dem "Vater der türkischen Sozialdemokratie" im Parlament die letzte Ehre. Für die Beisetzung auf dem Staatsfriedhof hatte das Parlament eigens das Gesetz geändert. Der Friedhof war bisher ausschließlich Staatspräsidenten (Ismet Inönü, Cemal Gürsel, Cevdet Sunay und Fahri Korutürk) und hochrangigen Waffengefährten des Republikgründers Mustafa Kemal Atatürk vorbehalten.

"Mann des Volkes"

Schon in der Nacht versammelten sich zahlreiche Anhänger trotz Kälte vor dem Sitz von Ecevits Demokratischer Linkspartei (DSP). Dorthin wurde der Sarg vom Krankenhaus zunächst geleitet, bevor er in das Parlament überführt wurde. Hier nahmen Staatschef Sezer, Ministerpräsident Erdogan und der einstige politische Dauerrivale Ecevits, Ex-Präsident Süleyman Demirel, von dem Toten Abschied. Im Anschluss führte der Trauerzug zur Kocatepe-Moschee, der größten Moschee Ankaras. Rund 20.000 Menschen waren auf dem Vorplatz zusammengekommen und riefen "Mann des Volkes, Ecevit!".

In der Umgebung wurden weitere zehntausende Menschen gezählt. Den ganzen Weg bis zum Friedhof säumten Trauernde die Straßen und warfen Blumen auf den Leichenwagen. Auf Dächern und Balkonen waren Scharfschützen postiert, aus Sicherheitsgründen wurden Flüge über die Stadt verboten. Das Staatsbegräbnis war ursprünglich für Mittwoch geplant, auf Wunsch von Ecevits Witwe Rahsan aber auf Samstag verschoben worden, um möglichst vielen Trauergästen die Teilnahme zu ermöglichen.

Erdogan als neuer Staatspräsident

Viele säkular orientierte Türken fürchten, dass Erdogan nach dem Ende der Amtszeit von Präsident Sezer im Mai neuer Staatspräsident werden könnte. Sezers Nachfolger wird vom Parlament gewählt, in dem Erdogans AKP-Partei die Mehrheit stellt. Sezer hat zahlreiche Gesetze mit seinem Veto blockiert, die seiner Ansicht nach gegen die säkulare Verfassung verstoßen, und die von Erdogans Regierung gewünschte Berufung hunderter mutmaßlich islamisch geprägter Beamter auf wichtige Posten verweigert.

Ecevit hatte auch nach seinem Rückzug aus der Führung seiner Demokratischen Linkspartei 2004 in die Politik eingegriffen. So warnte er Anfang des Jahres, Ministerpräsident Erdogan und dessen AKP mit ihren islamistischen Wurzeln seien eine Gefahr für den säkularen Staat. Im Mai hatte Ecevit einen Schlaganfall erlitten und lag seitdem im Koma. (APA)