Tatort Weinviertel. Das Resultat der Ermittlungen: größere rote Flecken im Veltlinerkeller.

Foto: Weinviertel Tourismus/R. Weiß
Am Rande einer ausgedehnten Rebfläche wuchert dorniges Gestrüpp auf einem kleinen Erdwall. Dahinter, auf Pfosten etwa eineinhalb Meter über dem Boden steht eine Art Jägerhochstand. Es ist eine winzige Hütte, samt Fensterchen und Tür. An der Tür ist ein primitiver Holzriegel angebracht, als Dach dient ein geteerter Pappendeckel. Der Ausblick aber von hier ist gewaltig, weil er über die endlosen Reihen von Rebstöcken hinweg auf weich konturierte Hügel geht. Man überschaut eine unspektakuläre, indes sehr präsente, selbstbewusste Weite, alles ist in herbstliche Farben getaucht, aber nicht leuchtend, sondern gedämpft. Die Sonne strengt sich heute nicht an.

"Hier in dieser Weingartenhütte hat der obdachlose Trinker Bartl gehaust. Also seine Romanvorlage halt", sagt Alfred Komarek. Der hoch gewachsene Mann mit den dichten schwarzen Koteletten hat diese Orte in Bücher gepackt, und er hat auch die Teams für die Romanverfilmungen hierher gelotst und beraten. Gedreht wurde also an "Original-Schauplätzen", wie es so schön heißt, also in der Gegend um die Städtchen und Dörfer Hollabrunn, Jetzelsdorf, Untermarkersdorf und Haugsdorf im niederösterreichischen Weinviertel.

Minirunde im Poltland

Der frühere Journalist Alfred Komarek zeigt sein Polt-Land, durch das er keineswegs mit dem Fahrrad unterwegs ist wie sein Gendarmerie-Inspektor Polt, sondern mit seinem neuen Mini. Der Name Komarek, sagt der Schriftsteller, komme aus dem Tschechischen ? die topografische Grenze nach Tschechien ist hier allgegenwärtig ? und heißt übersetzt "Kleine Stechfliege". Die passt gut als Wappentier zu Komarek, der sich flink, aber beileibe nicht hektisch durch "seine" Ortschaften bewegt. Man merkt ihm den Journalisten an, der klar und präzise, ohne Umschweife informiert werden will.

Ausflüge ins Grüne führten ins Niederösterreichische, "weil?s halt nicht so weit ist von Wien", dann mehr und mehr aus Wohlgefallen. "Lieblich ist es hier nicht, wenigstens nicht auf die ersten Blicke", so Alfred Komarek. "Auch die Leute sind, wie sollte es anders sein in dieser dezenten Landschaft, ein eigener Schlag. Zurückhaltend, könnte man sagen, abwartend trifft es besser. In jedem Fall aber authentisch."

Natürlich hat Alfred Komarek über die Gegend berichtet, und das hatte die schöne Folge, dass immer mehr Besucher in das Weinviertel kamen. Die Einwohner dankten es dem Schriftsteller. Aber mehr als alle Reiseberichte machten die Polt-Romane diesen Teil Niederösterreichs zum Reiseziel vieler Krimileser. "Irgendwann war es so weit. Eine Freundin hat mal gesagt: Du liest so viele Kriminalromane mit so viel Begeisterung. Warum schreibst du mit deinem Talent nicht selber mal einen Krimi?" Komarek ging in sich und brachte Polt und seinen ersten Fall heraus, "Polt muss weinen" erschien 1998.

Der Wein spielt eine zentrale Rolle in den vier Polt-Romanen. Meistens wird der Lokalmatador, der Grüne Veltliner, genossen, aber es werden auch schwerere Stoffe gereicht. Wie "der Rote", der in Wirklichkeit immer wichtiger wird hier in der Heimat der Veltliner, Weißburgunder und Welschrieslings. Der Himmelbauer aus Untermarkersdorf ist einer der beharrlichsten Verfechter von Blauem Portugieser, Cabernet Sauvignon und Zweigelt, typischen roten Rebsorten. "Es hat schon ein bisserl Selbstbewusstsein gebraucht, sich von Gewachsenem, Althergebrachtem, Vertrautem mit einem Mal in größerem Stil auf was Neues einzulassen. Roten hat es hier durchaus schon immer gegeben, aber er hat wirtschaftlich lange Zeit keine große Rolle gespielt", resümiert der Winzer, der 14 Hektar Anbaugebiet und einen großen Weinkeller samt Presshaus besitzt, und zu dem sich Polt immer wieder hingezogen fühlt.

Melkkuh des Stifts?

Dieser Keller hat es in sich. 51 Stufen führen in die dunkle Tiefe, wo sich dickbäuchige Fässer in das Rund der mächtigen Gewölbe einfügen. Niemand weiß, wie alt der ungewöhnlich große Weinkeller tatsächlich ist. Kann sein, dass er vor weit mehr als zwei Jahrhunderten als "Fron- und Zehentkelle" des Stiftes Melk in die Erde getrieben worden ist. Um 1880 jedenfalls kamen eigentümlich feierliche Portale in einem kunstvoll ausgewölbten Raum hinzu. Hier, 24 Meter unter den Weingärten, werden Verkosten und Trinken zu einem eigenwilligen Ritual, und zur notwendigen Stärkung, falls man sich noch weiter in das labyrinthische Geflecht von Gängen und Ausbuchtungen wagen sollte, in diese Welt aus Rot, Rost und Schimmel, der auch vor ganz alten vollen Flaschen nicht Halt macht.

Der Himmelbauer und seine Familie sind prominente Figuren, die allerdings unter dem Namen "Höllenbauer" firmieren in Komareks Romanen. Weit hinten in ihrem endlos langen flachen Wohnhaus in Untermarkersdorf, das offenbar nur durch die Dorfstraße vorn und die Winzerei hinten in seinem Wachstum aufgehalten werden konnte, wohnt Simon Polt in der früheren Austragswohnung der Alten. Noch schöner ist es aber in der riesigen Wohnküche der Himmelbauers, wo selbst die Katze Ähnlichkeit hat mit Czernohorsky, Polts ebenso eigensinnigem wie gewichtigem Kater.

Wir stehen vor Polts Presshaus, und alles ist so wie im Buch. Bis auf die Jahreszeit: Es ist nicht Sommer, wie im dritten Roman, "Himmel, Polt und Hölle", als der Inspektor das Presshaus kauft und in einem ausführlichen Ritual in Besitz nimmt. Natürlich nicht als Wohnhaus und schon gar nicht als Indiz für Wohlstand. Aber Polt war es, als stünde er nunmehr fester auf einem Boden, den er sehr mochte.

Eines lässt sich allerdings den Polt-Romanen nicht entnehmen: Das Presshaus gehört Alfred Komarek. Gekauft hat er es gewissermaßen in Verehrung für seinen fleißigen Ermittler. Komarek ist also auch hier zu Hause. Der Hausherr sperrt das uralte Vorhängeschloss und dann das Türschloss auf, mit einem Schlüssel, der ohne Weiteres als Mordwaffe durchgehen würde, und bittet ins Innere. Man könnte sich vorstellen, eine gute Weile in dieser Zauberkiste zu verbringen, aber Alfred Komarek hat bereits den nächsten Schauplatz im Sinn: den Gutshof des alten Horst Breitwieser aus dem Krimi "Blumen für Polt", der wie es im Roman heißt, schwer und bestimmend in einer flachen Senke liegt: Das schwere Hoftor mit seiner schönen barocken Umrahmung hängt schief in den Angeln. Und die mächtigen Hybridschweine aus dem Roman, jene Riesentiere, die so furchtbar schreckhaft sind, dass sie beim Knall eines Schusses tot umfallen, laufen hier friedlich herum. Unübersehbar sind sie, und man riecht sie schon von Weitem. Alfred Komarek haben sie auf jeden Fall Glück gebracht. (Andreas Schätzl/Der Standard/Printausgabe/11./12.11.2006)