"Als ich mit 18 Jahren die Hallen der Universität betrat, schienen sie mir gleichsam heilige Räume. Nichts war für mich großartiger als sie. Ich hatte das Glück, hervorragende Professoren zu sehen und zu hören, und gleichzeitig das Glück, noch völlig unreflektiert, ganz gewiss zu meinen: Die Universität, das ist eine große abendländische, übernationale Sache wie die Kirchen. Da gehöre ich einer Gemeinschaft an, die nichts will als bedingungslos und uneingeschränkt die Wahrheit."

Als der Philosoph Karl Jaspers sich gegen Ende seines Lebens an die Studienzeit erinnerte, lag die beschworene große Epoche ein halbes Jahrhundert zurück und, 1901, an der Schwelle eines Zeitalters, das auch auf akademischem Boden eine glänzende, freiere Zukunft versprach. Dass und wie anders alles wurde, musste Jaspers selbst erleben, und vieles, was ihm wiederfuhr - vom Lehrverbot unter den Nazis bis hin zu seinem endgültigen Fortgang aus Deutschland 1948 - hatte mit den mediokren Hervorbringungen einer Zeit zu tun, die dem besinnungslosen Mitläufertum auch auf universitärem Boden bereitwillig Platz eingeräumt hat.

Nun hieße es mit einer sehr großen Kanone auf einen jämmerlichen Zeisig zu zielen, wollte man den Universitätsrat Gerhard Pendl in eine Reihe mit denen stellen, die einem Kaliber wie Jaspers das Leben zu vergällen vermochten. Und doch hat es damit mehr auf sich, als es die nahe liegende Versuchung vermuten ließe, Figuren wie Pendl einfach als Phänomene vernachlässigter und politisch instrumentierter Universitätsstrukturen beiseite zu schieben. Natürlich ist Pendl auch ein Produkt des Systems Gehrer, das nicht nur im Hochschulbereich die Besetzung zentraler Managementfunktionen mit zumindest intellektuell, wenn schon nicht fachlich unqalifiziertem Personal ermöglichte. Doch das allein macht den Fall Pendl noch nicht so unerträglich.

"Kulturdeutschtum"

Es ist vielmehr das Über- und Ausleben einer Geisteshaltung, deren Aufkommen schon der junge Jaspers - wie Pendl übrigens promovierter Mediziner - in seinem unmittelbaren Umfeld erleben und erleiden musste. Dabei geht es um eine Suspendierung der Wahrhaftigkeit, die Jaspers als Voraussetzung für zwei Dinge postuliert: Für das diskursive "al pari" im akademischen Betrieb, das die Achtung des Andersdenkenden und damit anderen prinzipiell voraussetzt, und seine Umsetzung im weiteren gesellschaftlichen, also politischen Rahmen.

Wenn man Pendls Rede bei der Gedenkfeier für eine Ikone des Neonazitums anhört, wenn man sein Schwadronieren über sein "Kulturdeutschtum" hört und den verächtlichen Ton, mit dem er zu verstehen gibt, das sein universitäres "al pari" auf die Schmissvisagen beschränkt bleibt, die ihm applaudieren, muss man sich über die - mit wenigen Ausnahmen - lauen Reaktionen der Universitäten doch sehr wundern. Über die Politik, die meint, mit der Abberufung Pendls als Uni-Rat wäre die Sache erledigt, wundert sich ohnehin niemand mehr.

Die einzig saubere Form, mit Erscheinungen wie Pendl umzugehen, wäre die Aberkennung des akademischen Grades. Vielleicht erinnert er sich ja, was er bei seiner Promotion gelobt hat, vielleicht findet sich auch jemand, der es dem rechten Recken ins Deutsche übersetzt: nämlich nicht nur die verliehene Würde "rein und unbefleckt zu halten und niemals durch üble Sitten und Schande im Leben zu beflecken". Sondern auch, wenn ihm das zu viel Pathos sein sollte: die Pflichten, "die dem rechten Arzt obliegen", mit der gleichen Menschlichkeit gegen alle auszuüben. Ganz offenkundig hat Pendl seine sehr eigene Interpretation des Wirkens als rechter Arzt gefunden und gelebt.

Man könnte noch lange dar-über nachdenken, warum das Notwendige nicht geschehen wird. Möglicherweise hat es mit einem Unbehagen der Universitäten zu tun, ihren historischen Anteil an solcher Geisteshaltung auszupendeln. Und daran, sich allzu bequem in der Gleichgültigkeit eingerichtet zu haben, die Jaspers die "mildeste Form der Intoleranz" genannt hat. (DER STANDARD-Printausgabe, 16.11.2006)