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Austropopper freuen sich - Ewald Pfleger (li.), Stefanie Werger und Kurt Hauenstein mit Produzent Rudi Dolezal

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Testseher Ernst Molden hatte hingegen nicht viel zu lachen.

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Was ist Austropop? Für den Produzenten Peter Wolf ist er "irgendwie eine Erscheinung der 70er-Jahre". Für Christina Stürmer ist er "jeglicher österreichischer Künstler". Für Rudi Dolezal und Hannes Rosacher ist er Grund für eine sechsteilige Dokumentation. Für STANDARD-Testseher Ernst Molden ist Austropop "ein ganz grässliches Wort. Als wenn man einen magengeschwürten Rülpser endlich los wird, und der macht dann ,austropop‘".

Ernst Molden ist Musiker, und er ist Wiener. Er singt hochdeutsch, um genau zu sein, wienerisches hochdeutsch. Auf seiner neuen CD "Bubenlieder" fährt er "weiter als heiligenstadt“" huldigt "alt wien" und besingt "lusthauswasser". Sein Vater ist Verlegerlegende und STANDARD-Gründungsmitglied Fritz Molden, seine Großmutter war Paula Preradovic. In sechs Stunden "50 Jahre Austropop" kommt Ernst Molden nicht vor.

"Rossacher hat den selben Zahnarzt wie ich"

Nein, DoRo haben ihn nicht interviewt, erzählt der 39-Jährige beim Lokalaugenschein. Er hätte ohnehin abgelehnt. "Ich wehre mich, Teil dieses Begriffs zu sein. Ich sehe mich als Künstler, der wie viele andere an das Wort ,Austropop‘ nicht einmal anstreifen wollen." Kennt er das legendäre Produzentenduo Dolezal/Rossacher? "Rossacher hat den selben Zahnarzt wie ich."

Es geht los, "Life is Life", "Rock Me Amadeus", "Bababanküberfall" und "Zwickt‘s mi" verschmelzen ineinander. Molden raucht sich die erste Muratti an: "Könnten wir das ein bisschen leiser schalten?"

"Die größte Aufarbeitung östereichische Popkultur nach dem zweiten Weltkrieg", verspricht Rudi Dolezal am Bildschirm. "Er wirkt wie ein Märchenonkel, allein, er meint es ernst", kommentiert Molden.

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Wieso überhaupt 50 Jahre Austropop? "Der verzweifelte Versuch eines Jubiläums", meint Molden. Dolezal will die Zahl ironisch verstanden wissen. Weil ein solches Projekt in Österreich nur möglich sei, wenn man das Jubiläum dazu stelle, erklärte er im Vorfeld.

"I am from Austria", trällert Rainhard Fendrich. Molden: "Es beginnt mit der verlogensten Hymne." Dann folgt ein Bilder- und Musikwirbel, diverse Austropop-Größen sagen "Austro", sagen "Pop", in schnellen Schnitten folgen Musikeinspielungen von DJ Ötzi, Kruder & Dorfmeister und Arik Brauer. "Legenden sagen alle dasselbe Wort, damit wird behauptet, es gebe so etwas wie Austropop."

Umarmungen

"Deutschland und die andere Welt hat auf Österreich geschaut, weil wir so gut und so kreativ waren. Weil wir vor allem eine Einheit waren", betont Waterloo. "Der meint das ja ernst", entgegnet Molden. Die Einheit, so es sie je gab, ist längst zerbröckelt. DoRo versuchen die Neudefinition, indem sie nach Stürmerscher Definition jegliche Popmusik österreichischer Herkunft zum Austropop erklären. Das nervt Molden gewaltig: "Man umarmt sich und macht sich damit am anderen groß. Der Ambros umarmt den Leichnam des Hans Moser, Heller schmiegt sich an den toten Qualtinger, wie er sich schon an den lebenden geschmiegt hat."

Er nimmt die eigene Szene nicht aus: "In der Indieszene gibt es auch Klüngelbildungen. Ich versuche diese Umarmungen zu vermeinden. Wenn man in der österreichischen U-Musik jemandem ein Kompliment macht, fließt immer ein Tröpferl Schleim mit, ob man will oder nicht."

Deshalb tut sich Molden schwer, über österreichische Einflüsse zu reden: "Es gibt einige, die würde ich aber nie nennen." Nur so viel: "Der frühe Heller und sein Leid, die ersten Hirsch-Alben waren für mich ganz zentral. Oder Karl Ratzer: Er ist ein Gott. Die Hallucination Company war eine der größten Bands."

Keyboard-Schmalzerei

Im Fernsehen Qualtinger, Pirron und Knapp. Liefen die auch bei ihm zu Hause. "Auch", antwortet Molden knapp. In Erinnerung schwelgen will er nicht, das tun die Protagonisten zur Genüge. Lieber spricht er über die erweist sich als profunder Kenner der Austropop-Szene: "Die Liedermacherszene hatte Ende der 70er einen Bruch: Ambros war damals auf der Höhe der Zeit, dann entdeckte das offizielle Pop-Österreich die Keyboard-Elektronik. Damit hatte sich der Studiosound in eine Keyboard-Schmalzerei verdrückt."

"Austropop war für mich immer das, wozu ich nicht gehöre", erlärt André Heller. Das ist endgültig zu viel für Molden. "Punkt! Aus! Ganz großer Widerspruch!", wirft er ein. "Der zentrale Sündenfall, als Austropop böse wurde, war wo Heller und Ambros 'Für immer jung' gesungen haben. Das erste Eiterwimmerl ist mit ‚Für immer jung‘ zerplatzt. Da haben sich zwei gute Künstler durch die Nähe zueinander kleiner und mieser gemacht als sie sind."

"Einfach eine Erhaltungssäule"

Ein eigenes Kapitel für Christl Stürmer. "Sehr fleißig, sehr fleißig. Und i mog fleißige Leit‘", lobt DJ Ötzi. "Die hätte es sonst auch geschafft", gesteht Ernst Molden. Warum ausgerechnet sie sich zur "Austropop" zählt, versteht er freilich nicht: "Ihre Sprache und die Art zu singen, strebt in allem weg von dem, was eigentlich österreichische Popidentität ist."

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Für ihn sei internationaler Erfolg keine Frage: Familie ist ihm wichtiger. Seiner Frau und den drei Kindern will er "einfach eine Erhaltungssäule" sein. Und die Selbsterfahrung: Molden will näher an sich, näher daran, was er ausdrücken will. Das funktioniere nur in einem sehr lokalen System: Eine Agentur, eine Band und ein paar Lokale, in denen er auftreten kann.

LPs müssen ruhen

Falco singt Peter Alexander: "Hier ist ein Mensch". Sehr lustig, kommentiert Molden. "Bei Falco wird halt klar, wie uncool alle anderen waren." Der Produzent Rudi Nemeczec will Peter Alexander und Udo Jürgens nicht zu Austropoppern zählen: "Angepasst bis zum Untergang", sagt er. Molden: "Ich singe ja gerne das Loblied der österreichischen New Wave. Nur Minisex war die streichelweichsten von allen. ,Ich fahre mit dem Auto‘. Da waren andere viel schräger. Eine typische beleidigte Reaktion zu sagen: Man liebt uns nicht, weil wir schwierig sind. Die sind ja gar nicht schwierig, sie sind verstaubt. Die Herren Jürgens und Alexander haben wenigstens begriffen, dass sie jenseits einer österreichischen Popöffentlichkeit existieren müssen."

Die Doku hat nachhaltige Wirkung auf Molden: "Ich besitze zwischen 15 und 20 LPs aus diesem Fundus, der da gelaufen ist, die mir immer noch wichtig sind. Hirsch, Maron, früher Ambros, Danzer. Die höre ich sporadisch immer noch. Nach diesem Film ist es für mich unmöglich, diese Musik zu konsumieren. Das muss jetzt für längere Zeit ruhen."

"Wünsche mir so wenige Seher wie möglich"

Und obwohl so viele Gesichter zu sehen waren, vermisst Molden etliche: "Wo ist Harri Stojka? Peter Ratzenbeck ist ihnen zu wenig bekannt. Warum wurde Ostbahn-Kurti nur als Mitglied bei den Schmetterlingen gezeigt, wo man doch alle anderen in ihren erfolgreichsten Zeiten gesehen hatte? Da fragt man sich sofort: Gibt es Schwierigkeiten zwischen Willi Resetarits und DoRo?" Ein letztes "furchtbar", eine letzte Zigarette und der österreichische Musiker Ernst Molden fährt nach Hause. Letzte Worte: "Ich wünsche mir für dieses Projekt so wenige Seher wie möglich, damit irgendwann Platz für eine neue österreichische Popmusikgeschichtsschreibung ist." Das könnte wohl noch eine zeitlang dauern. (Doris Priesching/DER STANDARD; Printausgabe, 16.11.2006)