In dem schmucken Strandrestaurant gleich nebenan wird das Dutzend um sagenhafte 16 Francs serviert. Der Preis hat jedoch mit der Qualität nicht das geringste zu tun. Denn die ist erstklassig, bestätigen die Experten. Und schlürfen begeistert. Pierre zuckt mit der Schulter. Er ist froh, dass er überhaupt wieder fischen kann. Und mit ihm nicht nur die restlichen 613 Einwohner des verträumten Eilandes, sondern die ganze Region.
Nur ungern erinnern sich die Bretonen an vergangenen Dezember. Und an Erika. Obwohl der Tanker 300 Kilometer weiter nördlich sank, verseuchte das Öl die Küste bis hinunter zur Loire-Mündung bei St. Nazaire. "Das Meer war schwarz, und der Öl-Geruch lag überall in der Luft", berichtet Andrea Klose. Die Deutsche lebt seit über 20 Jahren in der Bretagne. Heute koordiniert sie die Touristenscharen im Port de Saint-Nazaire.
Wo einst die mächtigen Ozeankreuzer "Normandie" und "France" vom Stapel liefen, können Besucher seit April das wohl beeindruckendste Schifffahrtsmuseum Europas bestaunen. "Escal'Atlantic" ist eine Erlebnisausstellung, die drei Stockwerke auf rund 3.500 m² umfasst. In den Kammern ehemaliger U-Boot-Bunker wurde nahezu perfekt das Leben und Treiben auf den Überseedampfern nachgestellt. Und während man abschließend aus dem schwankenden Kinosaal evakuiert und auf Rettungsboote verfrachtet wird, wartet draußen in den Docks die "Millennium", der Nachfolger der einstigen Kolosse. Hightech total - verteilt auf 14 Stockwerke und zehntausende Tonnen. Ob Museum, Ocearium, die zahlreichen Jachtclubs oder Thalasso-Therapie im Vierstern-Hotel "Miramar" (ebenfalls einem Luxuskreuzer nachempfunden) - man ist stolz auf das vielfältige Freizeitangebot entlang der endlosen Sandstrände.
An manchen Stellen wird noch eifrig geschrubbt.
Insgesamt 1000 Mann des französischen Militärs und der Feuerwehr fallen bei jeder Wetterlage putzteufelartig über die noch verschmutzten Abschnitte her, sammeln jeden noch so kleinen Ölfleck akribisch genau auf. Ihnen ist es zu verdanken, dass an den meisten Stränden Kinder bereits wieder unbeschwert plantschen und Sandburgen bauen können. Pierre, der alte Fischersmann, der mit dem Anpinseln seines Bootes schon fast fertig ist, verdreht die Augen: "Als ob das etwas nützen würde", grummelt er gereizt. Erika will ihm einfach nicht aus dem Kopf gehen. 120 Meter liegt sie tief, und immer noch mit reichlich Öl gefüllt. In den nächsten vier Monaten soll sie endgültig leergepumpt werden. "Das geht aber nur, wenn die See nicht zu stark ist", weiß Pierre. Und genau das ist sie leider häufig.
Mittlerweile hat sich die Sonne durch den weißen Dunstschleier gefressen und leuchtet die Insellandschaft im Golf von Morbihan aus. Die milde ozeanische Brise, die sanft die Sinne belebt, lässt Erika fast vergessen. Pierre kneift die Augen zusammen und blinzelt in die Sonne. Er genießt den typisch salzig-fischigen Geruch von Seegras, der sich bei Ebbe über die vielen kleinen Inseln legt. Nun ist endlich Zeit für eine schöpferische Pause. Der Schatten seiner "Quo Vadis" ist gerade groß genug, um ihn vollständig vor der Sonne zu schützen. Über Pierres Lippen huscht tatsächlich ein kleines Lächeln. Einmal nicht an Erika denken zu müssen. Das wäre schön. Andreas Tröscher
Infos: Maison de la France, Argentinierstraße 41a, 1040 Wien, Tel.: 01 / 503 28 93 18,
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