"Studien zeigen, dass Vitamin C als Erkältungsvorbeugung kaum wirksam ist und bestenfalls die Krankheitsdauer verkürzt," Doris Allichhammer

Foto: STANDARD/Matthias Cremer

"In den USA sind vierzig Prozent der Kinder gegen bestimmte Antibiotika resistent. Da wäre ein Paradigmenwechsel angebracht", Evamarie Wolkenstein

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In der kalten Jahreszeit haben Krankheitserreger leichtes Spiel. Was wirkt gegen Grippe, und was nicht? Andrea Fallent bat die Arbeitsmedizinerin Doris Allichhammer und die TCM-Allgemeinmedizinerin Evamarie Wolkenstein um Auskunft und Rat. STANDARD: Pünktlich mit den sinkenden Außentemperaturen klagen viele Menschen über Erkältungen. Wie erklärt man sich den Zusammenhang zwischen Kälte und grippalen Infekten?

Allichhammer: In einer Studie in England wurde der Zusammenhang zwischen Kälte und der Häufigkeit von Erkältungen an 180 Personen getestet. Die Hälfte davon nahm ein 20-minütiges, kaltes Fußbad. 13 davon litten innerhalb der darauf folgenden vier Tage an einer Erkältung, während in der Vergleichsgruppe mit warmen Füßen nur vier Personen betroffen waren.

Kalte Füße können Schnupfen begünstigen, weil dadurch die Schleimhäute im Atmungstrakt reflektorisch schlecht durchblutet werden und Viren dadurch leichter diese Schutzbarriere durchbrechen können. Auch bei Blasenentzündungen gibt es einen eindeutigen Zusammenhang mit kalten Füßen.

Wolkenstein: Dieser Effekt lässt sich auch gut mit einer Thermografiekamera festhalten. Sie zeigt, dass mit sinkenden Temperaturen besonders an exponierten Körperstellen die Durchblutung abnimmt, weil sich die Gefäße zusammenziehen. So wird die Wärme von dieser Stelle abgezogen, damit die innere Körpertemperatur konstant gehalten wird.

Die Frage ist dann, wie stark ist das Immunsystem, um die Krankheitserreger, die ja ständig vorhanden sind, in Schach zu halten. In der chinesischen Medizin gibt es seit tausenden Jahren einen direkten Zusammenhang zwischen kalten Füßen und Blasenkatarrhen, Hexenschuss oder Schnupfen, weil hier der Energiefluss der Meridiane gestört wird.

STANDARD: Sind Erkältungen ein notwendiges Übel oder im Gegenteil eine notwendige Herausforderung für das Immunsystem?

Allichhammer: Aus Studien weiß man, dass es vor allem für Kinder wichtig ist, Infektionserregern ausgesetzt zu sein, um ein belastbares Immunsystem zu entwickeln. Meine Kinder waren im Kindergarten nicht krank und haben diese Phase dafür in der Volksschule nachgeholt.

Wolkenstein: Je mehr Antikörper gegen diverse Krankheitserreger im Körper zirkulieren, desto besser funktioniert die Abwehr. Auf diesem Prinzip funktionieren auch Impfungen. Als Komplementärmedizinerin muss ich leider beobachten, dass man das Immunsystem vor allem im Kindesalter zu wenig arbeiten lässt. Fieber ist ein Zeichen dafür, dass das körperliche Abwehrsystem tätig wird. Ein notwendiger Prozess, der viel zu häufig durch Antibiotika unterbrochen wird.

Dadurch entsteht ein Teufelskreis, der letztendlich das Immunsystem blockiert und Kinder umso anfälliger macht. In den USA sind mittlerweile vierzig Prozent der Kinder gegen bestimmte Antibiotika resistent. Da wäre ein Paradigmenwechsel angebracht. Ein Kind sollte bis zu einem gewissen Grad auch krank sein dürfen. Das gilt natürlich auch für Erwachsene.

STANDARD: Ist es ein Alarmsignal des Körpers, wenn sich bei Erwachsenen Erkältungen ständig wiederholen?

Allichhammer: Für mich als Arbeitsmedizinerin eindeutig ja. Ich beobachte, dass Leute, die sich den ganzen Winter nicht mehr erfangen, meist unter chronischem negativem Stress leiden und einen Infekt dadurch nie zur Gänze auskurieren.

STANDARD: Was empfehlen Sie dauerbelasteten Menschen?

Allichhammer: Ich gebe meistens Verhaltenstipps, weil man selten das gesamte betriebliche Umfeld ändern kann. Als Sportmedizinerin rate ich zu regelmäßiger sportlicher Bewegung, die einerseits zum Stressabbau beiträgt und andererseits das Immunsystem stärkt. Den Effekt sieht und spürt man relativ schnell, indem die Infektanfälligkeit messbar abnimmt.

Wolkenstein: Natürlich spielt Stress eine Rolle. Ich lenke meinen Fokus aber vorwiegend auf die Ernährung. Dass heißt auf die innere Kälte, die man häufig unbewusst durch Nahrungsmittel zuführt. Eine Erkenntnis, die nicht nur auf der chinesischen Medizin basiert. Auch die europäische Kultur hat hier viel tradiertes Wissen.

Zum Beispiel im Winter statt Salat und Jogurt mit frischen Früchten eher Linsen, Bohneneintöpfe und warme Suppen zu essen. Solche Speisen geben dem Körper Wärme und Kraft. Aus chinesischer Sicht bringt vor allem Tiefkühlkost eine extreme Information von Kälte in den Körper. Auch Zitrusfrüchte gehören in diese Kategorie.

STANDARD: Dass bedeutet, dass man als Prophylaxe kein Obst mit viel Vitamin C zu sich nehmen sollte?

Wolkenstein: Das ist in unseren Breiten nicht notwendig. Wenn man sich die Mühe macht und im Internet nach Nahrungsmitteln mit hohem Vitamin-C-Gehalt sucht, wird man draufkommen, dass beispielsweise die Petersilie dreimal mehr Vitamin C enthält als jede Mandarine. Wir können auch Sauerkraut essen, um den Bedarf zu decken.

Allichhammer: Aktuelle Studien zeigen ja auch, dass Vitamin C als Vorbeugung gegen Erkältung kaum wirksam ist und bestenfalls hoch dosiert die Krankheitsdauer minimal verkürzt.

STANDARD: Wie effektiv sind Echinacea-Präparate, homöopathische Komplexmittel oder so genannte Bakterien-Lysate als Prophylaxe?

Wolkenstein: Homöopathische Mittel empfehle ich nur im Akutfall und nicht als Vorbeugung. Das gilt auch für Echinacea also Sonnenhut-Präparate, die sowohl als Phytotherapie als auch homöopathisch zu Immunstärkung eingesetzt werden.

Allichhammer: Ich habe bei chronischen Bronchitiden sehr gute Erfahrungen mit Bakterienlysaten gemacht. Das sind Bestandteile abgetöteter Bakterien, und zwar jener Stämme, die häufig Atemwegsinfekte auslösen. Die Präparate stärken die Abwehrkräfte und senken statistisch die Anzahl, die Dauer und den Schweregrad von Infekten.

STANDARD: Wie vermeidet man es, sich im Büro bei kranken Kollegen anzustecken?

Allichhammer: Die Hände sind der Hauptübertragungsweg. Deshalb nützt zumindest häufigeres Händewaschen. Auch regelmäßiges Querlüften hilft, um die herumschwebenden Viren aus der Luft zu eliminieren. Das scheitert in einem Großraumbüro häufig an unwilligen Kollegen, wobei man diese Pause andererseits gleich nützen könnte, um etwas Bewegung zu machen. Weiters sollte man schauen, dass man die Klimaanlagen in den Griff bekommt. Schlecht gewartete Umluftanlagen wirken wiederum als Bakterienschleudern.

Genauso kontraproduktiv sind Luftbefeuchter, die nicht regelmäßig gereinigt werden und ein ideales Reservoir für Pilze darstellen. Tischbrunnen tragen nur subjektiv zum Wohlbefinden bei, ändern aber nichts an der Luftfeuchtigkeit. Grünpflanzen wären optimal, wobei man da eine größere Anzahl bräuchte, auf Allergiker Rücksicht nehmen muss und die Pflanzen auch Pflege brauchen. Ein optimales Raumklima mit zirka 40 Prozent Luftfeuchtigkeit ist schwer zu erreichen.

STANDARD: Ab wann darf man zu Hause im Bett bleiben?

Allichhammer: Sobald Fieber vorhanden ist oder eine starke Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens vorliegt, ist es sicher gescheiter, man erholt sich zu Hause. Erstens ist man nicht leistungsfähig, und zweitens steckt man auch seine Kollegen an.

Wolkenstein: Außerdem verlängert man die Regenerationsphase, wenn man weiter-arbeitet, und wird dadurch noch anfälliger für Krankheiten. Oder es kommen Komplikationen dazu, die einen dann erst recht arbeitsunfähig machen.

Allichhammer: Trotzdem haben viele Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes und bleiben nicht zu Hause. Das ist ein Trend, den viele Arbeitsmediziner beobachten. Die Krankenstandstage aufgrund von Erkältungen nehmen sukzessive ab. Die meisten warten das Wochenende ab, um sich auszukurieren.

STANDARD: Es gibt viele Medikamente zur Therapie von Husten, Schnupfen, Heiserkeit. Welche rezeptfreien Medikamente sind sinnvoll?

Allichhammer: Viele Patienten bevorzugen Hausmittel. Bei banalen Infekten rate ich zu Inhalationen, um die Schleimhäute zu befeuchten, und Gurgeln mit Salbeitee. Kurzzeitig sind aber auch abschwellende Nasentropfen und nicht steroidale Entzündungshemmer wie Aspirin eine akzeptable Möglichkeit. Auch die gute alte Hühnersuppe hat ihre Berechtigung.

Wolkenstein: Bei Inhalationen hat sich Meersalz bewährt. Ätherische Öle trocknen die Schleimhäute eher aus. Ich verordne gerne chinesische Kräuter als Tee, die in vielen Fällen sogar Antibiotika ersetzen. Allerdings werde ich einem Manager, der nach Australien fliegen muss, ein Antibiotikum verschreiben, weil der einfach keine Möglichkeit zur Kräutertherapie hat.

STANDARD: Sie sind als Ärztinnen ständig mit erkälteten Menschen in Kontakt. Wie halten Sie sich persönlich gesund?

Wolkenstein: Ich mache konsequent Sport an der frischen Luft, dazu bestimmte Qi-Gong-Übungen, um die Lunge zu stärken und Stress abzubauen. Dazu reichen zehn Minuten täglich.

Allichhammer: Bewegung, Entspannung und gesunde Ernährung sind die drei Säulen, auf die es ankommt. Mit ein bisschen Aufwand tut man so sehr viel für seine Gesundheit. (Andrea Fallent/MEDSTANDARD/20.11.2006)