Sie heißen "Choit", "Novo", "Shmais" oder "Muk" – Spitznamen, die ihren Trägern eher dunkle Geschäfte nahe legen und nicht etwa ihre offizielle Funktion als Abgeordnete des armenischen Parlaments oder gar als Mitglieder der Regierung. Doch in der kleinen früheren Sowjetrepublik Armenien lässt sich wenig geheim halten. Weil der politische Entscheidungsprozess dazu noch häufig undurchsichtig ist, werden Gerüchte über Machenschaften von Regierungspolitikern zusätzlich befeuert.

Shootout

Die jüngsten rechtlichen Schritte gegen Hakob Hakobian alias "Choit", einen Abgeordneten der regierenden Republikanischen Partei, werden von westlichen Beobachtern und Vertretern der Zivilgesellschaft in Eriwan jedoch als Signal gewertet. Die Staatsführung habe die Gefährlichkeit dieser Politik spielenden Geschäftsmänner für ihr eigenes Überleben erkannt. Der Vorfall, der im Oktober zur Aufhebung der Immunität Hakobians führte, klingt wie eine Räuberpistole: "Choit" besitzt unter anderem drei Tankstellen in Echmiadzin, einer Stadt außerhalb von Eriwan, die sonst als geheiligter Sitz der armenischen Kirche bekannt ist. Nach Angaben des Generalstaatsanwaltes bezogen diese Tankstellen durch eine illegale Pipeline, für die Hakobian nichts oder nur einen unangemessenen Preis zahlte, Methan für den Betrieb von Autos. Als die Versorgung mit einem Mal ausblieb, fuhr Hakobian, ein bullig wirkender 43-jähriger Mann, der auch im Parlament ohne Krawatte aufzutreten pflegt, mit einer Gruppe Bewaffneter zu der hiesigen Gasverteilerstation und lieferte sich ein "shoot-out" mit dem Wachpersonal.

Staatschef rückt in ungünstiges Licht

Insgesamt 50 Personen sollen sich an dem Handgemenge und den anschließenden Schießereien beteiligt haben, vier wurden verletzt, Hakobian vorübergehend in Haft genommen. Dass die Verteilerstation von Mitgliedern des Armenischen Karate-Verbands bewacht wird, dessen Chef zugleich Leiter der Präsidentengarde ist und Hakobians Festnahme veranlasste, rückte auch Staatschef Robert Kotscharian in ein ungünstiges Licht. Im Vorfeld zweier bedeutender Wahlen – den Parlamentswahlen im März 2007 und den Präsidentschaftswahlen 2008 – sehen sich Kotscharian und der derzeit aussichtsreichste Kandidat für dessen Nachfolge, Verteidigungsminister Serge Sarkisian, einer neuen Kampagne der Opposition gegenüber. Ein Dutzend Parteien hat sich zu einer losen thematischen "Koalition gegen die Kriminellen" zusammengefunden. Der Slogan mag Widerhall in der Bevölkerung finden, die zumindest aus der weniger gegängelten Presse regelmäßig Geschichten über "Choit" oder "Muk" ("Maus"), einem Vizepremier, liest.

Zu viele "Geschäftsmänner" im Parlament

Sarkisian räumt im Gespräch ohne Zögern ein, dass es zu viele dieser "Geschäftsmänner" im Parlament gebe, schließt aber die Einführung gesetzlicher Hürden aus, um deren Zahl zu verringern. "Jedes Parlament auf der Welt soll das gesellschaftliche Bild seines Landes widerspiegeln. Davon bin ich zutiefst überzeugt", sagt er und gibt sich damit eine Blöße. Hakob Hakobians Fall ist in zweierlei Hinsicht unangenehm für Armeniens politische Führung: Zum einen war "Choit" mit einer Reihe anderer Unternehmer in diesem Sommer Verteidigungsminister Sarkisian in die Republikanische Partei gefolgt, um sich in die Nähe des Prätendenten auf das Amt des Staatschefs zu bringen; zum anderen trägt Sarkisian als langjähriger Minister und mächtigster Mann neben Kotscharian selbst Verantwortung für die Ausbildung eines Systems, in dem Geschäftsleute ihre wirtschaftlichen Interessen durch unmittelbare Einmischung in die Politik befriedigen können. Gegen "Choit" wird nun wegen Körperverletzung und Steuerhinterziehung ermittelt. Die Anklageerhebung zieht sich allerdings hin.

Zentralisierte Korruption

Armeniens politisches System sei der Konsens von etwa 40 bis 60 Personen, meint Alexander Iskandarjan, Leiter des Caucasus Media Institute in Eriwan und einer der unabhängigen Kommentatoren des Landes. "Kotscharian ist ein großer Teil dieses Systems, aber er ist nicht alles." Regierungsmitglieder und Oligarchen werden sich zusammensetzen und den Fall Hakobian untereinander bereinigen, sagt Boris Navasardian, ein anderer NGO-Vertreter, voraus. Die Korruption sei in Armenien zentralisiert, nicht anarchisch wie im Nachbarland Georgien zur Zeit von Präsident Eduard Schewardnadse, meint der Direktor des Yerevan Press Club. Der jüngste Bericht von Transparency International belässt Armenien unverändert auf Rang 93 von 163 Staaten – hinter der Republik Moldau immerhin noch der beste Wert für eine der früheren sowjetischen Republiken.

Zweistelliges Wirtschaftswachstum

Armenien werde von der Regierung "gemanagt", anerkennen Vertreter der Zivilgesellschaft in Eriwan. Dafür spricht auch das zweistellige Wirtschaftswachstum trotz schwieriger geopolitischer Lage: Armeniens Grenzen zur Türkei und zu Aserbaidschan sind seit dem Krieg um die Enklave Berg-Karabach Anfang der 90er-Jahre geschlossen, für den Handelsverkehr bleibt ein schmaler Korridor zum politisch schwierigen Nachbarn Iran und nach Georgien, das nun selbst einer Blockade durch Russland unterliegt.

Karabach-Konflikt

Doch auch für Armeniens außenpolitische Zwangslage gibt es eine andere Lesart. Artur Baghdasarian, der Chef von Orinats Yerkir, der "Rechtsstaatspartei", verweist auf den großen Einfluss der gebürtigen Karabach-Armenier Kotscharian und Sarkisian. Sie würden Aserbaidschan und die Türkei als ewige Feinde, und Russland mit seiner großen Militärbasis in Armenien als Garanten der Sicherheit darstellen. Eine Lösung des Karabach-Konflikts aber hänge in Wahrheit von der Demokratisierung in Armenien und Aserbaidschan ab. Vergangenen Mai musste Baghdasarian, der sich Georgiens Staatschef Michail Saakaschwili zum Vorbild nimmt, sein Amt als Parlamentspräsident räumen, weil er in einem Interview mit einer deutschen Zeitung einen Nato-Beitritt Armeniens zum Ziel erklärt hatte; der 38-Jährige will sich 2008 um das Präsidentenamt bewerben.

Verwoben mit Russland

"Armenien und Russland sind mit Tausenden von Verbindungen miteinander verwoben", entgegnet Verteidigungsminister Sarkisian, der auch "keinerlei Grund" sieht, "warum wir uns von Russland distanzieren sollten". So sicherte sich der russische Monopolist Gazprom Ende Oktober 58 Prozent des armenisch-russischen Energiekonzerns ArmRosGazprom und gleichzeitig die Übernahme der neuen iranisch-armenischen Gaspipeline, was auch ein Schlag für Georgiens Hoffnung auf alternative Energierouten ist. Hakob Hakobian, der schießwütige Abgeordnete, war mit dem Konzern ebenfalls in Konflikt gekommen: Von einem Unternehmen der ArmRosGazprom soll er das Gas für seine Tankstellen abgezweigt haben.