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Der Winter des Hosni Mubarak: Der 78-jährige ägyptische Präsident bei seinem Besuch in Moskau Anfang November. Laut eigener Erklärung will er bis zu seinem Lebensende im Amt bleiben.

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Gamal Mubarak, jüngerer Sohn von Hosni Mubarak, beteuert, nicht ägyptischer Präsident werden zu wollen.

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Ägypten macht sich auf in die Zeit nach Hosni Mubarak. Aber die Gesellschaft ist uneins, wohin die Reise geht. Die Regimepartei beteuert politischen Reformwillen, die Opposition sieht nur Willen zum Machterhalt. Von Gudrun Harrer.

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Ägypten werde sich wohl in den nächsten Jahren hauptsächlich mit sich selbst beschäftigen, antwortet Abdel Monem Said Ali, Direktor des Al-Ahram Center for Political and Strategic Studies, auf die Frage nach der regionalen Rolle des bevölkerungsreichsten arabischen Landes. Tatsächlich, obwohl Kairo als Vermittler im Nahostkonflikt nicht wegzudenken ist: Die Aufreger sind momentan eher hausgemacht.

„Die Leute haben genug“, sagt eine junge oppositionelle Aktivistin und NGO-Gründerin, der man die reiche Familie ansieht und ihr Studium in Großbritannien anhört, „genug von Mubarak und genug davon, dass ihn sein Sohn beerben soll“. Wenn er wenigstens ab und zu seinem Vater widersprechen würde, spöttelt sie über den „Al Gore Ägyptens“. Gemeint ist damit Gamals angebliche Farblosigkeit:_Eigentlich wisse niemand, was er denkt.

Die herrschende Nationaldemokratische Partei (NDP), in der Gamal Mubarak in den vergangenen Jahren zu hohen Ämtern aufstieg (zuletzt zum Vizegeneralsekretär), bestreitet vehement, dass die bevorstehenden Verfassungsänderungen in Ägypten etwas damit zu tun hätten, Präsident Mubaraks Sohn den Weg zu ebnen. „Mehr Wettbewerb“ ist der Leitspruch, der hinter der zweiten Novellierung des berühmt-berüchtigten Artikel 76 steht, erklärt Mohamed Kamal, Mitglied des Generalsekretariats. Und auch kritische Analysten schließen ein Ba_shar al-Assad-Szenario für Ägypten aus. Nicht aber ein Rajiv Gandhi-Szenario.

Präsident Hosni Mubarak, 78 und seit 1981 im Amt, spricht selbst von einer „Übergangszeit“, aber amtsmüde, obwohl gesundheitlich angeschlagen, wirkt er nicht. Also tut alles so, als ginge es um die nächsten regulären Präsidentenwahlen, 2011. Gamal Mubarak habe wiederholt betont, das Präsidentenamt nicht anzustreben, aber, so konzediert Mohamed Kamal, wer letztlich der nächste Kandidat sein wird, entscheide die Partei.

Der Artikel 76: Wurde ein Kandidat früher vom Parlament mit Zweidrittelmehrheit vorgeschlagen (und dann per Referendum „gewählt“), so sah die letzte Novellierung vor, dass Fünf-Prozent-Parteien einen Kandidaten vorschlagen können. Für die letzten Wahlen wurde diese Hürde jedoch aufgehoben, was neun – chancenlose – Gegenkandidaten Mubaraks produzierte. Das Argument, dass, wenn die fünf Prozent wieder gelten, es 2011 mangels Fünf-Prozent-Parteien wieder keine Kandidaten geben werde, beantwortet die NDP so, dass dazwischen ja noch Parlamentswahlen liegen. Und dass ein neues Wahlgesetz kleineren Parteien mehr Chancen geben soll. Und dass ja Artikel 76 noch einmal novelliert wird.

Die gesamte Verfassung ist in Arbeit, die Machtverteilung im Staat soll neu geordnet werden. Nationalen Konsens dar-über, wie das Resultat aussehen soll, gibt es keinen. Manche Analysten halten die Verfassung mit ihrer zentralistischen Philosophie für schlicht unreformierbar.

Andere nehmen wiederum der NDP_ihren Reformwillen in Richtung „Dritter-Weg-Partei“ nicht ab – obwohl zuletzt zumindest wirtschaftlich echte Reformen durchgezogen wurden, die bereits Erfolge bei den Wirtschaftsdaten zeitigen. Zu den NDP-Dissidenten gehört das Senatsmitglied Osama Al-Ghazali Harb, früher im Reformerkreis um Gamal Mubarak, der nun seine eigene Partei „Demokratische Front“ gründet. Für ihn ist die ewig beschworene Angst vor der als Partei verbotenen Muslimbrüderschaft keine Argument gegen Öffnung: Nur eine Demokratisierung werde die Muslimbrüder, die mit 88 „Unabhängigen“ im Parlament vertreten sind, auf ihre natürliche Größe reduzieren.

Die Muslimbrüder selbst sehen sich als erstes Opfer aller geplanten Verfassungsänderungen: Da sie als Partei verboten sind und bleiben werden, werden sie es auf normalem Weg nie zu einem Präsidentschaftskandidaten bringen. Mit anderen Kritikern teilen sie das Argument, dass das Parteienleben insgesamt in Ägypten noch viel zu schwach sei, um mit den geplanten Veränderungen einen echten politischen Wettbewerb zu erreichen. Mohamed Kamal gibt auch offen zu, das ein Beweggrund, Opposition zuzulassen, der ist, den oppositionellen Raum nicht den Islamisten zu überlassen. Ob dabei eine echte demokratische Opposition herauskommt, bleibt zu sehen.

Auf die Frage, ob die demokratische Opposition Hilfe von außen braucht, reagieren Aktivisten ablehnend, sobald der Name USA fällt: Das könne gegen einen verwendet werden;_auch Ayman Nur, der inhaftierte Chef der Partei „Ghad“, sei Opfer dieser Konstellation geworden. Überhaupt sei der Begriff Demokratie durch die US-Politik in der Region delegitimiert.

Einstweilen sind eher Verhärtungen des Systems festzustellen:_Die Behörden sind mit Verhaftungen leichter bei der Hand, scheint es, nervös gemacht auch durch die lebhafte oppositionelle Bloggerszene, wie eine andere Aktivistin, die der Bewegung „Kifaya“ nahe steht, erzählt.

Im Internet hat auch die Nachricht über die unglaubliche „Massenbelästigung“ ihre Verbreitung gefunden, die am Ende des Ramadan in Kairo stattgefunden hat: Vor einem Kino hatten junge Männer begonnen, Frauen zu belästigen – und in einer Art kollektiven männlichen Wahnsinns breitete sich das Phänomen schnell aus. Details mögen erfunden sein, der Kern der Geschichte stimmt jedoch. Und zeigt eine unruhige Gesellschaft, die Ventile sucht.(DER STANDARD, Printausgabe, 22.11.2006)