"Als ich auf die Welt kam, hat mir meine Familie zwei Namen gegeben: Jenny und Gloria. Ich habe mich immer Jenny genannt. Aber Jenny ist an dem Tag gestorben, an dem ich das Resultat meines HIV-Tests erhielt. Heute bin ich Gloria."

Gloria (36) und Luis (40) haben sich in einem Rehabilitationszentrum in Lima kennen gelernt. Sie arbeitete dort als freiwillige Helferin, er war in Behandlung wegen seiner Drogenabhängigkeit. Sie haben eine gemeinsame Tochter namens Camila. Es wird über ein Jahr dauern, bis geklärt werden kann, ob Camila HIV-positiv ist.

In der Serie "Mein Leben mit HIV", zur Verfügung gestellt von Ärzte ohne Grenzen / Médecins sans Frontières, kommen Menschen mit HIV selbst zu Wort. Ärzte ohne Grenzen behandelt derzeit rund 80.000 Patienten und Patientinnen mit antiretroviralen Medikamenten (ART) in 65 Projekten in über 30 Ländern der Welt.

Foto: Gloria

Gloria erzählt: "Ich lebe in Villa El Salvador, einem Barrio in Lima. Mein Ehemann und ich sind beide HIV-positiv. Auf dem Foto ist meine Straße zu sehen. Das Barrio ist nachts nicht sicher – Männer errichten Barrikaden in den Straßen, um Autos zu stoppen und die Fahrer zu überfallen. Täglich warte ich um zwei Uhr morgens auf meinen Ehemann Luis: Er liefert mit seinem Motorrad Pizza nach Downtown und kommt sehr spät heim.

Ich wurde in einer Straße ganz in der Nähe von meinem heutigen Zuhause geboren, dort lebte ich mit meiner Mutter 33 Jahre lang. Mein Vater ist gestorben, als ich zehn Jahre alt war, und meine Mutter musste hart arbeiten, um die Familie durchzubringen. Sie arbeitete als Reinigungskraft. Nach meinem Studium wurde ich Lehrerin. Ich mochte meine Arbeit mit den Kindern wirklich gerne."

Foto: Gloria

"Das ist ein zwei Jahre altes Foto von Luis. Er lebte damals in dem Rehabilitationszentrum für Drogenabhängige in Lima. Luis fing mit 14 Jahren an, Drogen zu nehmen. Er dachte nicht an die Folgen. Sein Motto lautete: 'Heute dauert ewig.' Es ging nur darum, eine gute Zeit zu haben – mit Alkohol, anderen Drogen und Frauen.

Ich helfe gern benachteiligten Menschen, und so ging ich als freiwillige Helferin in das Zentrum. Dort traf ich eines Tages Luis und verliebte mich sofort in ihn. Wir waren wie Teenager und schauten einander den ganzen Tag in die Augen! Ich begann eine Beziehung mit ihm. Nach dreieinhalb Jahren war Luis bereit, das Zentrum zu verlassen und ein neues Leben zu beginnen. Wir entschieden uns dafür zusammenzuleben."

Foto: Gloria

"Diese Tüte ist alles, was wir hatten, als Luis das Rehabilitationszentrum verließ. Er hatte zwei Hosen, ein T-Shirt und sein Fotoalbum. Wir mussten von Null anfangen, weil seine Familie ihn bereits seit langer Zeit abwies. Luis wollte jetzt all das erreichen, was er vorher nicht hatte: eine Familie, einen Job und ein normales Leben. Seine Freunde waren alle gestorben oder im Gefängnis. Er aber fühlte sich wegen unserer Liebe sehr gut. Doch dann wurde er krank. Er hatte ständig Magenschmerzen, dachte aber zunächst, das käme vom Essen. Er wurde wirklich dünn, und legte nicht an Gewicht zu – selbst wenn er viel aß."

Foto: Gloria

"Das ist meine Tochter Camila. Sie ist drei Monate alt. Während der Schwangerschaft fühlte ich mich nicht gut und verlor an Gewicht; mein Gewicht ging runter bis auf 42 Kilo. Ich ging zum Arzt, der mich bat, verschiedene Tests zu machen. Auf einem Papier, das er mir gab, las ich 'HIV-Test'. Es war das erste Mal, dass ich über HIV nachdachte. Ich begann zu weinen und wollte später auch nicht zur Klinik, um mein Resultat zu erfahren. Ich hatte große Angst. Schließlich ging ich mit meinem Ehemann zusammen dorthin, und der Arzt sagte mir, dass ich HIV-positiv sei. In meinem Kopf drehte sich alles. Ich konnte kaum aufstehen und versuchte mich an die Wand zu lehnen. Am nächsten Tag ging ich dennoch wieder zur Arbeit und begann, Informationen über HIV/Aids zu recherchieren. Nur wenige Tage später erfuhr Luis, dass er auch HIV-positiv ist.

Zur Geburt meines Kindes ging ich in die Klinik, um mittels Kaiserschnitt zu entbinden. Dort war es furchtbar. Die Krankenschwester wollte mich nicht betreuen – niemand wollte mich berühren. Als mein Kind geboren war, sagte eine Krankenschwester zu mir: "Sie wird so werden wie du. Krank." Ich wollte sterben. Dann kam ein Arzt an mein Bett und erklärte, dass wir 18 Monate warten müssten, bis sich klären könne, ob Camila HIV-positiv sei oder nicht."

Foto: Gloria

"Bevor ich meine lebensverlängernde antiretrovirale Therapie begann, hatte ich einen CD4-Zellen-Status* von 120. Das ist sehr niedrig, und ich fühlte mich wirklich schlecht. So, wie auch mein Mann. Er war dünn und hatte Herpes. Am 28. März 2006 begann ich mit der Einnahme von antiretroviralen Medikamenten, Luis wurde eine Woche später in das Programm aufgenommen. Seit wir beide mit der Behandlung begonnen haben, geht es uns jeden Tag besser. Luis kann jetzt jeden Tag viele Stunden arbeiten, und er hat viel an Gewicht zugenommen. Auf dem Foto kann man sehen, dass er nicht mehr aussieht wie der Mann, den ich im Rehabilitationszentrum kennengelernt habe."

* Das Absterben der CD4-Zellen im Rahmen der HIV-Infektion ist Ursache der Immunschwäche, weshalb niedrige CD4-Zell-Werte als Richtlinie für den Beginn einer antiretroviralen Therapie genommen werden.

Foto: Gloria

"Dieses Foto zeigt mich während eines Workshops, bei dem man lernt Schals herzustellen. Meine Arbeit als Lehrerin habe ich unterbrochen, als ich schwanger war. Danach ging ich nicht mehr zurück. Jenny war Lehrerin, aber Jenny ist ja tot. Das Leben ist hart, und ich muss neue Einkommensquellen finden, um mein Kind zu ernähren.

Die Frau in der Mitte ist meine Freundin Milagro. Ich habe sie in der Klinik von Ärzte ohne Grenzen kennengelernt. Am Tag nach dem Testresultat war ich so verzweifelt - ich habe geschrieen und geheult. Ich habe sie angerufen und gesagt: Ich brauche dich. Sie kam sofort, und das obwohl ich sie zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht gut kannte. Sie blieb die ganze Nacht bei mir."

Foto: Gloria

"Jeden Morgen um sechs Uhr geht bei uns automatisch der Fernseher an. Ich schaue mir dann bis um acht Uhr religiöse Programme an. Mein Glaube hilft mir viel. Um acht Uhr nehme ich meine Medikamente. - Die kleinen Medikamentendosen im Bild gehören meinem Mann und mir. Sie stehen auf Camilas Ersatznahrungsdose. Das zeigt sehr gut, wie die Situation in meiner Familie heute ist: Ich kann nicht stillen, da ich sonst das HI-Virus übertragen könnte. Also muss ich meiner Tochter die Ersatzmilch geben. Sie mag sie und ist auch bei guter Gesundheit. Wir müssen noch immer einige Monate warten, bevor man herausfinden kann, ob sie HIV-positiv ist. Ich glaube fest daran, dass sie nicht positiv ist. Ich fühle das."

Foto: Gloria

"Das ist Francisco, ein Berater für HIV/Aidspatienten. Als ich ihm das erste Mal begegnete, saß ich gerade im Wartezimmer des Gesundheitszentrums. Ich war damals sehr traurig. Francisco kam zu mir und fragte: 'Wie heißt du? Was ist los mit dir?' Ich erklärte ihm, dass ich verzweifelt sei, weil mein Ehemann Geld brauchte, um sein Motorrad zu reparieren. Es war kaputt und deshalb bestand die Gefahr, dass er seinen Job verlieren würde. Wir hatten keinen einzigen Sol*, und ich wusste nicht, was wir tun können. Und wie sollten wir ohne Geld Nahrung für das Baby kaufen? Francisco sagte: 'Wie viel brauchst du?' Ich sagte: '50 Soles'. Francisco nahm das Geld aus seinem Portemonnaie und sagte: 'Nimm das und mach dir keine Sorgen.' Ich konnte es nicht fassen, dass jemand, den ich gar nicht kannte, so großzügig sein konnte."

* Nuevo Sol ist die peruanische Währung. 1 Sol entspricht 0,23 Euro.

Foto: Gloria

"Wenn man mit einem positiven HIV-Testergebnis aus der Klinik kommt, nimmt jemand von der HIV-Unterstützergruppe Kontakt mit einem auf und lädt einen in diesen Kreis ein. Mir hat es viel geholfen, zu diesen Treffen zu gehen. Ich erfuhr dort, dass ich nicht allein mit dieser Krankheit bin und dass man sogar mit HIV ein normales Leben führen kann. Wir haben unserer Gruppe den Namen 'Cruzando Fronteras' ('Grenzen Überqueren') gegeben. Wenn man HIV/Aids hat, kann man Grenzen überwinden und sein Leben weiterführen: Man kann Dinge unternehmen, arbeiten und Freunde treffen. Zudem wollten wir uns mit diesem Namen bei Ärzte ohne Grenzen erkenntlich zeigen, da die Organisation uns sehr geholfen hat – und zwar nicht nur dadurch, dass die Mitarbeiter uns Medikamente gegeben und uns behandelt haben."

Foto: Gloria

"Das ist Quiche, der Bruder von Luis. Quiche wurde vor fünf Jahren HIV-positiv getestet. Damals gab es in Peru keine Behandlungsmöglichkeit. Quiche hat ein Leben wie Luis geführt - jetzt ist er im Rehabilitationszentrum. Vor einigen Wochen hat Luis ihn besucht und beschlossen, ihn mit zum Gesundheitszentrum zu nehmen. Quiche wollte zunächst nicht hingehen, weil er immer noch glaubte, es gebe keine Behandlungsmöglichkeiten für HIV-Patienten. Da hat Luis ihm erzählt, dass er selbst HIV-positiv sei und Medikamente bekäme. Sein Bruder konnte es gar nicht glauben. Dann kam er mit ins Gesundheitszentrum. Das Foto habe ich ein paar Minuten nach seinem CD4-Zellen-Test aufgenommen. Ich bin sicher, dass Quiche die Behandlung sehr bald beginnen wird und sich damit seine Lebensqualität verbessert."
(red)


In der Serie "Mein Leben mit HIV", zur Verfügung gestellt von Ärzte ohne Grenzen / Médecins sans Frontières, kommen Menschen mit HIV selbst zu Wort. Ärzte ohne Grenzen behandelt derzeit rund 80.000 Patienten und Patientinnen mit antiretroviralen Medikamenten (ART) in 65 Projekten in über 30 Ländern der Welt.