Chuck Palahniuk:
"Die Kolonie". Deutsch von Werner Schmitz. 20,60 Euro/ 476 Seiten. Manhattan Verlag, München 2006

Buchcover: Manhattan Verlag
Ein böser Mensch stirbt und kommt in die Hölle. Dort erwartet ihn eine Überraschung. Der Beelzeboss wartet nicht etwa mit Feuer und Streckbank auf den armen Sünder. Es sieht hier eher nach Sexklub-Urlaub in der Karibik aus. Die Wochen und Orgien vergehen also, und noch immer keimt im bösen Menschen der Verdacht, dass hier irgendwo doch der Hund begraben liegen muss. Eines Tages entdeckt er während einer Bootstour weit draußen vorm Strand einen finsteren Strudel im Meer, aus dem Rauch, Feuer und unfassbare Schmerzensschreie dringen und das Blut in Fontänen herausschießt. Aufgewühlt zum Teufel am Strand zurückgekehrt, fragt er den Gottseibeiuns, was um Himmels willen denn da draußen los sei. Der Teufel antwortet: Ach, das ist der bei uns in der Hölle für Christen reservierte Bereich. Die wollen das so.

Chuck Palahniuk wohnt nahe Portland, Oregon, möglicherweise nicht umsonst auf einer Farm, die zuletzt einer Bibelsekte gehört hatte, die sich hier auf die vorerst noch nicht eingetretene Apokalypse vorbereitete. Der vor allem über die Verfilmung seines Romans Fight Club bekannt und wohlhabend gewordene 44-jährige US-Autor rührt so wie die Vorbesitzer seines Anwesens gern an den letzten Dingen. Bloß, dass Palah- niuk während seiner literarischen Todeskämpfe kein übermäßiges Interesse für die Nachwelt zeigt. In Romanen wie besagtem Fight Club, in Survivor, Lullaby, Das letzte Protokoll, Choke oder Invisible Monsters seziert er lieber das alltägliche Grauen und den Horror einer von keinem zürnenden Gott, sondern von ihr selbst verheerten (westlichen) Gesellschaft. Das Gute im Menschen? So hohl wie die Frohbotschaften der bürgerlichen Konvention und deren als Allgemeingut verkaufte Werbebotschaften für den gesitteten Umgang miteinander. Darunter, in einer von Palahniuk grausam durchmessenen existenziellen Leere, warten Schrecken, Schmerz und Aggressionen nur darauf, an die Oberfläche dringen zu können.

Selbstverständlich können diese beklemmenden Nachtfahrten in die nicht ganz klischeefreien Hinterhöfe des amerikanischen Traums von Glück, Reichtum und Ruhm eines nie verdecken: Palahniuk erweist sich noch am Ende jedes unhappy Endes seiner Romane zwar als Meister eines ausschließlich mit menschlichen Monstern auskommenden Horrorgenres. In der Schule von Edgar Allan Poe oder Clive Barker möchte Palahniuk allerdings seine Protagonisten nicht in die Grube fahren lassen, ohne vorher eines klarzustellen: Hinter all dem Grauen, das er jetzt gerade auch in seinem in Form einer Rahmennovelle geschriebenen neuen Roman Die Kolonie (im Original: Haunted) noch drastischer als ohnehin schon gewohnt dokumentiert, verbirgt sich einerseits ein von der so genannten, auf jeden Fall aber langsam untergehenden Zivilisation enttäuschter Moralist. Andererseits möchte Chuck Palahniuk, wie es jetzt in einer Besprechung der Kolonie in der deutschen Zeit so richtig hieß, jene Teufel austreiben, die wir letztlich selbst sind.

In Die Kolonie erfolgt dies nach dem guten alten Prinzip von Zehn Kleine Negerlein. Auf eine Annonce hin melden sich bei einem gewissen Mr. Whittier 17 Nachwuchsautoren, um in einem von diesem organisierten Schriftsteller-Workshop, der drei Monate lang an einem unbekannten Ort in völliger Abgeschiedenheit stattfinden soll, ihr Handwerk zu verbessern. Wie sich bald herausstellt, handelt es sich ausschließlich um Verzweifelte, die aus dem Leben und ihrer schief gegangenen Biografie flüchten wollen. Schreibend soll hier als sich durch den Roman ziehender blutiger Leitfaden die eigene Geschichte erzählt werden - bevor diese sie umbringt.

Mr. Whittier, der natürlich ebenfalls ein dunkles Geheimnis verbirgt, lässt sich zum Entsetzen aller gemeinsam mit seinen Schülern in einem alten Kinopalast einsperren, alle Verbindungen zur Außenwelt kappen und Türen und Fenster zur Sicherheit auch gleich noch zumauern. Kneifen gilt ab sofort nur mehr mit der Beißzange. Nach anfänglicher Verzweiflung entdecken die Eingesperrten bald, dass es nach drei Monaten in dieser selbst gewählten Vorhölle für einen späteren Ruhm als Schriftsteller besser wäre, auch die Haftbedingungen kreativ etwas zu dramatisieren. Weil es in diesem Kerker keinen Teufel gibt, erfindet man sich in Mr. Whittier kurzweg einen. Man will ihm jene Selbstverstümmelungen zuschreiben, die draußen nach dem schriftstellerischen Martyrium Ruhm und Ansehen bringen sollen. Zudem entzieht sich die "Kolonie" durch Zerstörung der Nahrungsmittel und Sabotage der Infrastruktur (Wasser, Heizung, Licht . . .) zunehmend die eigene Lebensgrundlage. Bald sind zwischen den verfassten Horrorgeschichten und dem Leben in Haft keine Unterschiede mehr auszumachen.

Palahniuk steigert dabei seine Erzählkunst in drastische Verdichtungen einer Literatur des Schreckens, nach deren Lektüre es für die durch Hungertod und Kannibalismus dezimierten Romanprotagonisten wie auch den Leser draußen keine Erlösung geben kann und darf. Er entwirft in diesem Kino das Horrorszenario einer Gesellschaft, die tatsächlich am Ende angekommen ist. Ein Höllenfeuer, befeuert von einem schriftstellerischen Rachegott, der den Tod als nur schwer verdauliche Gnade und Auflösung in das Nichts propagiert - während er Flugzeuge in den Vatikan oder die Kaaba von Mekka stürzen lässt und in Gedärmen wühlt. Das Böse kommt nicht von draußen. Es kommt aus der eigenen Verzweiflung und Einsamkeit. (Christian Schachinger/ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 25./26.11.2006)