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Grafik: Archiv
Am Dienstag stürmte ein schwer bewaffneter 18-Jähriger seine ehemalige Schule ins Emsdetten (Deutschland), verletzte fünf Menschen und richtete sich anschließend selbst. Wie bei ähnlich gelagerten Fällen an der Columbine High School oder in Erfurt wird wieder diskutiert, ob bestimmte Computerspiele eine Mitschuld diesen Vorfällen haben und deshalb verboten werden. Magister Ursula Dietersdorfer, Psychologin im Dienst der Wiener Kinderfreunde, spricht sich im Gespräch mit der APA gegen generelle Verbote aus.

APA: Nach dem Amoklauf an einer Schule in Emsdetten (Deutschland) taucht in den Medien wieder die Frage auf: Sind Computerspiele wie "Counter-Strike" schuld? Wird diese Diskussion zu Recht geführt?

Dietersdorfer: Nein. Es gibt genug wissenschaftliche Aussagen, die belegen, dass es keinen direkten kausalen Zusammenhang zwischen Computerspielen und aggressiven Handlungen gibt.

APA:Aber können Computerspiele Aggressionen fördern, die schon im Kind oder im Jugendlichen stecken?

Dietersdorfer: Ja, das können sie. Ich möchte aber etwas zum Spiel generell sagen: Ein Spiel hat unter anderem die Funktion, Spannung zu erzeugen und soll die Möglichkeit geben, mit dieser Spannung lustvoll umzugehen. Computerspiele mit aggressivem Inhalt scheinen mir in diesem Bereich sehr anregend zu sein. Allerdings ist für manche Kinder und Jugendliche, die nicht genügend Frustrationstoleranz haben, die wenig konfliktfähig sind und die über mangelnde Impulskontrolle verfügen, durchaus von einer Gefährdung im Umgang mit Spielen aggressiven Inhaltes auszugehen.

APA: Was fasziniert Kinder und Jugendliche an Computerspielen?

Dietersdorfer: Das hängt natürlich vom Spiel ab. Aber sie spüren eine Kompetenz, die sie im wirklichen Leben vielleicht nicht haben. Sie können sich als Sieger fühlen und sie können Macht ausüben. Und sie können, anders als im wirklichen Leben, wieder von vorne beginnen und andere Strategien suchen, die zum Sieg führen.

APA: Eltern haben oft Angst, wenn ihre Kinder bestimmte Spiele spielen. Ist diese Angst berechtigt?

Dietersdorfer: Wir müssen uns den Angst-Begriff näher ansehen. Ich glaube, es handelt sich um eine Verunsicherung. Wir dürfen nicht vergessen, dass Computer für viele Menschen immer noch ein neues Medium sind. Die Kinder haben den Eltern in dem Fall wirklich etwas voraus und dieses Informationsdefizit kann bei den Eltern zur Verunsicherung führen.

APA: Wie kann man Eltern die Angst nehmen?

Dietersdorfer: Eltern sollten sich selbst über diese Spiele informieren, im Internet gibt es genügend Informationsmöglichkeiten. Und sie sollten auf jeden Fall mit ihren Kindern im Gespräch bleiben. Optimal wäre es, wenn sie mit den Kindern gemeinsam spielen - wenn die Kinder sie mitspielen lassen. Obwohl das vor allem Pubertierende meist nicht mehr so gerne haben ...

APA: Das liegt aber wohl auch an der Kommunikationskultur innerhalb der Familie?

Dietersdorfer: Eine Kommunikationskompetenz, die nicht schon in frühen Jahren aufgebaut wurde, ist später nicht "auf Knopfdruck" herzustellen.

APA: Wie nach jedem Amoklauf in einer Schule gibt es auch jetzt wieder die Diskussion auf politischer Ebene, ob Spiele mit gewalttätigem Inhalt verboten werden sollen. Halten Sie Verbote für sinnvoll?

Dietersdorfer: Ich habe ein Problem mit generellen Verboten; Verbote verstärken nur die Neugier. Es gibt immer Möglichkeiten, an verbotene Dinge heran zu kommen. Wichtiger wäre es, positive Spiele mehr zu bewerben und interessanter zu machen.

APA: Gewaltspiele werden sicher auf vielen Wunschzetteln an das Christkind stehen. Wie sollen Eltern darauf reagieren?

Dietersdorfer: Eltern sollten alternative Geschenkideen suchen, sollten sich aber auch einer Diskussion mit den Kindern stellen und ihnen erklären, warum sie ihnen das Spiel nicht schenken. Ein Spiel einfach nur zu verteufeln ist nicht sinnvoll.

APA: Welche Möglichkeiten haben Eltern noch, wenn sie merken, dass das Kind viel zu viel Zeit mit Computerspielen verbringt und sich der Familie verweigert?

Dietersdorfer: Wenn sie große Sorgen haben, dass das Kind gar nicht mehr auf Kommunikationsversuche anspricht, dann sollten sie sich dringend an eine der vielen Beratungsstellen wenden. Sie können aber durchaus auch versuchen, mit den Freunden des Kindes Kontakt aufzunehmen oder mit den Eltern dieser Freunde zu sprechen.

APA: Aus ihrem Erfahrungsschatz: Was sind die größten Probleme der Pubertierenden?

Dietersdorfer: Burschen und Mädchen haben übergreifend die Entwicklungsaufgabe, dass sie ihre Identität entwickeln und in eine Gesellschaft hineinwachsen müssen, die hochkomplex ist. Darüber hinaus sind sie mit sehr vielen Aufgaben konfrontiert, in der Schule oder auch in der Berufsausbildung. Jugendliche, die zu uns kommen, haben außerdem sehr oft Probleme im Elternhaus, sie mussten Trennungen hinter sich bringen und wissen dann oft nicht, zu wem sie gehören - und von wem sie sich lösen müssen. Und sie haben oft niemanden, der ihnen zuhört.

APA: Merken Sie in der Praxis, dass diese Jugendliche dann in Computerwelten abdriften?

Dietersdorfer: Pubertierende, die sich ausschließlich in Computerwelten zurückziehen, artikulieren ihre Probleme meist nicht mehr. Sie setzen aber schon ein eindeutiges Zeichen, indem sie sich zurückziehen und lieber spielen als sprechen.

APA: Macht es Sinn, die Spielzeit zu begrenzen?

Dietersdorfer: Das ist sicher sinnvoll. Je jünger ein Kind ist, umso klarer sollten die Grenzen gezogen werden. Mit älteren Kindern und Jugendlichen muss man reden und vernünftig individuelle Lösungen finden. (APA)