Eva Stanzl

Wien - Die Novellierung der Obsorgebestimmungen im Kinderschaftsrecht kann nur ein Versuch sein, das Trauma der ersten erlebten Katastrophe eines Kindes - der Streit und die Trennung der Eltern - zu mildern. Ob das gute Wollen des Gesetzes aber auch schmerzlindernd wirken kann, hängt weiterhin von der Einsicht und Rücksichtnahme der Eltern ab. Die Liebe zum Kind allein reicht dabei nicht, da Liebe oft mit Unvernunft einhergeht. Michael Stormann, Leiter der Abteilung Familienrecht im Justizministerium, informiert zu der vor wenigen Tagen genehmigten Gesetzesreform: "In Zukunft kann die Obsorge auch nach einer Scheidung beiden Eltern überlassen werden, wenn diese es wollen. Bei Nichteinigung ist die Obsorge von einem Elternteil allein zu tragen." In diesem Fall ist ein Ausbau des Besucherrechts geplant: Bei Streitigkeiten sollen so genannte Besuchsbegleiter als Katalysatoren wirken und darüber wachen, ob der oder die Erziehungsberechtigte das Kind zur vereinbarten Zeit bringt oder der Nicht-Erziehungsberechtigte wie vereinbart erscheint. Als Ziel der Reformen nennt Stormann Bewusstseinsbildung: "Obsorge ist kein Recht, sondern eine Aufgabe. Wir erwarten, dass der gesetzliche Auftrag der Obsorge beider Eltern dazu beiträgt, dass sich die Eltern intensiver und im gleichen Maße um das Kind kümmern." Max Friedrich, Kinderpsychiater und Gerichtssachverständiger in Obsorgefragen, hält diese Vision für utopisch: "Man kann mit Gesetzen keine bessere Welt schaffen. Tatsache ist: Wenn Vereinbarungen funktionieren, dann braucht es kein Gesetz." Nicht der Gesetzesgeber, sondern die Eltern müssten zum körperlichen, emotionalen, intellektuellen und sozialen Wohl ihres Kindes handeln. Sie sollten bei einer Scheidung auf die Wünsche des Kindes hören und vor allem ehrlich zu ihm sein, sagt Friedrich. Denn Kinder können den akuten Schmerz einer Trennung eher verkraften als Spannungen, die über Umwege auf ihrem Rücken ausgetragen werden. Schon der aufgeschnappte Satz "Wenn sie halt keine Kinder hätten, wäre alles viel leichter" von Verwandten oder Freunden genügt, um bei den betroffenen Kleinen Schuldgefühle auszulösen. Und Schuldgefühle mehren die Probleme: "Wenn in solchen Fällen die Kinder schreien könnten, wäre es ein Donnerhall", sagt Friedrich. Mit Problembewältigung bei Trennungen befasst sich auch der Bundesverein Rainbows (Carnierigasse 34, 8010 Graz, Tel.: 0 31 6/68 86 70, rainbows-austria@sine.com). "Zu den größten Problemen von Kindern und Jugendlichen bei einer Trennung der Eltern gehört die Tatsache, dass das, was sie für gegeben hielten - die Familie - zerbricht. Und den Moment der Trennung erleben sie gegen Ende des Besuchstages jedes Mal aufs Neue, sagt Ursula Malek, Leiterin von Rainbows Wien, die rund 200 betroffene Kinder jährlich betreut. Für Malek führt eine gesetzlich verankerte Obsorge beider Eltern am eigentlichen Problem vorbei, denn "die Eltern leben ja trotzdem getrennt - und das Schwierigste daran sind die Besuchstage. Je schöner der Tag, umso schlimmer der Abschied, die Eltern müssen daher ihr Kind nicht nur lieben, sondern auch Rücksicht nehmen und verzichten können."