London/Paris/Rom/Berlin - Die bevorstehende Türkei-Reise von Papst Benedikt XVI. ist am Montag Gegenstand zahlreicher Pressekommentare:

  • "The Times" (London):
  • "Man muss der Türkei zugute halten, dass sie Forderungen nach einer Absage des Besuches des Papstes zurückgewiesen hat. Doch der Besuch ist doppelt kontrovers durch die von Benedikt, bevor er Papst wurde, geäußerte Ablehnung einer EU-Mitgliedschaft der Türkei, da sie wegen ihrer Religion und Kultur nicht in die Europäische Gemeinschaft gehöre.

    Er kommt nun dort an, während die Beitrittsgespräche in einer Krise sind und während die Öffentlichkeit das als eine unendliche Serie von Zugeständnissen der Regierung (...) auf Verlangen der EU ansieht. Das hat einen grassierenden Nationalismus angefacht, der alle Bemühungen um eine Integration in den Westen verurteilt. In der EU-Frage hat der Papst Unrecht, und er sollte wenigstens signalisieren, dass er die zwei Kulturen nicht für fundamental unvereinbar hält."

  • "Le Figaro" (Paris):
  • "Wird Benedikt XVI. für den Islamismus das sein, was Johannes Paul II. für den Kommunismus war? Kann er eine ebenso entscheidende Rolle im Kampf gegen den religiösen Fanatismus spielen wie es sein Vorgänger im Ringen mit dem sowjetischen Imperium vorgeführt hat? Hoffen wir es. Die Reise des Papstes in die Türkei ist wichtig und wagemutig.

    Persönlich gegen einen EU-Beitritt dieses Landes, wird der Papst vor allem wegen seiner Äußerungen vom September zum Islam von einer gefährlichen Minderheit muslimischer Aktivisten verabscheut. (...) Indem er bekräftigte, dass der Glauben nicht mit Gewalt durchgesetzt werden darf, und seine Sorge um die Verdrehung des Islam durch einige Frömmler Allahs ausgedrückt hat, legte der Papst jedoch Weisheit an den Tag."

  • "Il Messaggero" (Rom):
  • "In Wirklichkeit sind der papstfeindlichen Demonstration in Istanbul (am Sonntag) nach Schätzungen von Beobachtern lediglich etwa 20.000 Teilnehmer gefolgt. Mit anderen Worten, die Aktion ist zu einem offensichtlichen Misserfolg geworden. Dies ist wiederum ein Zeichen sowohl für die Unduldsamkeit der Mehrheit der Einwohner in der größten türkischen Stadt gegenüber dem islamischen Extremismus als auch ein Zeichen für die starke Kontrolle der türkischen Polizei, die es zu verhindern gewusst hat, dass eine so wichtige Gelegenheit wie der Papst-Besuch sich nicht zu einem Bumerang mit unkalkulierbaren Folgen verwandelt."

  • "Corriere della Sera" (Mailand):
  • "Es ist ganz unvermeidlich, dass die Reise des Papstes in die Türkei, zu diesem ganz besonderen Zeitpunkt, zu einem wichtigen Ereignis in der Geschichte der Beziehungen zwischen dem Islam und dem christlichen Westen wird. Aber zugleich muss man darauf hinweisen, dass der Hauptgrund dieser Reise eigentlich nichts mit den Themen der akademischen Vorlesung von Regensburg zu tun hat.

    Benedikt XVI. reist nicht in die Türkei, um mit den Muslimen einen Dialog zu führen oder, noch viel weniger, um sie zum Christentum zu bekehren. Er wird dagegen den politischen Autoritäten etwas über die Christen, die in der Türkei leben, zu sagen haben, und er wird darüber sprechen, dass diese das Recht auf einen größeren Schutz haben."

  • "Der Tagesspiegel" (Berlin):
  • "Die Angst steht im Weg. Man stelle sich für einen Moment eine Türkei vor, die sich ihrer Vergangenheit stellt; die für ihr Europa-Streben die Anerkennung Zyperns in Kauf nimmt; die religiösen und ethnischen Minderheiten Autonomie gewährt; die die Generäle in die Schranken weist.

    In einer solchen Türkei müsste der Ministerpräsident nicht zeitweise verhindert sein, wenn der Papst kommt, im Gegenteil: Er würde die Gelegenheit nutzen, um aller Welt zu zeigen, was die Türkei als muslimisches, aber säkulares Land für den Dialog der Kulturen leisten kann. (CSU-Chef) Edmund Stoiber würde verzweifeln. So wie die Dinge in der Türkei stehen, muss er das so bald nicht befürchten."

  • "die tageszeitung" (taz) (Berlin):
  • "Bei den radikalen Papstgegnern, bei denen sich Islamisten wie Ultranationalisten die Hand reichen, gibt es vor allem zwei Themen, die die Gemüter vor dem Besuch erhitzten. Der Papst, so argwöhnen sie, ist nur die religiös verbrämte Speerspitze des westlichen, christlichen Imperialismus, der Istanbul den Muslimen wieder entreißen will. 'Hier ist Istanbul, nicht Konstantinopel!', skandierte ein Redner, und die Massen schrien mit.

    Deshalb wird das Treffen des Papstes mit dem Patriarchen Bartholomaios besonders argwöhnisch betrachtet. Benedikt, so die Radikalen, will ihn nun bei der Rückeroberung Konstantinopels unterstützen. Und das sei im Übrigen auch das eigentliche Ziel der EU. (...) Symbol der Auseinandersetzung ist die Hagia Sophia. Der Papst habe dort nichts zu suchen, betonen Islamisten und Nationalisten immer wieder. Sie befürchten, der Papst wolle in der Hagia Sophia beten, um so das Wahrzeichen Istanbuls wieder als Kirche zu reklamieren."

  • "Le Monde" (Paris):
  • "Das Terrain ist vermint. Da ist die Erinnerung an die Polemik über die Papstrede in Regensburg. Zweitens eilt dem früheren Kardinal Joseph Ratzinger der Ruf voraus, er sei ein Gegner eines türkischen EU-Beitritts. Und schließlich findet die destabilisierte orthodoxe Welt ihre alten Rom-feindlichen Reflexe wieder. Nie zuvor hat ein Papst so sehr die Aufmerksamkeit der Welt auf die Gefährdung der Zivilisation gelenkt, die seiner Meinung nach von der Schwächung der christlichen Werte und der Verletzlichkeit Europas gegenüber dem Aufkommen eines radikalen Islam ausgeht. Das ist der Schlüssel zur Erklärung seines Kampfes zur Verteidigung der christlichen Identität des alten Kontinents."

  • "Neue Zürcher Zeitung" (NZZ):
  • "Mit Provokation zum Dialog - das scheint die dialektische Methode des Papstes Benedikt XVI. zu sein. Im September hat er mit seiner Vorlesung in Regensburg Empörung ausgelöst in der muslimischen Welt. Unterdessen sind Briefe und Botschaften zwischen dem Vatikan und muslimischen Würdenträgern hin- und hergegangen; die Aufregung hat sich anscheinend gelegt. Dennoch ist nicht zu erwarten, dass der Besuch des Papstes in der Türkei in lauter Minne vonstatten gehen wird.

    Der viel zitierte Zusammenprall der Kulturen ist in vollem Gange, nicht nur auf den Kriegsschauplätzen des Mittleren Ostens, sondern zum Beispiel auch in den Einwandererghettos europäischer Großstädte. Solche Konflikte kann der Papst auf seiner Reise nicht entschärfen; dazu hat er nicht die nötige Autorität und Macht. Doch kann er auf dieser Reise den Beweis antreten, dass Provokation wirklich zum Dialog führt."

  • "Handelsblatt" (Düsseldorf):
  • "Die Orthodoxie hat viel mit dem Katholizismus gemein und bewahrt manche Traditionen noch reiner - dem Kirchenväterfreund Benedikt dürfte diese Annäherung eines der größten Anliegen seines Pontifikats sein. Doch ist das, global betrachtet, eine ökumenische Binnensicht. Der Kirchenführer Benedikt hat bisher immer noch nicht in seine umspannende politische Rolle gefunden. Die Weltöffentlichkeit wird bei der Türkei-Visite nur an der Frage interessiert sein, wie der Brückenschlag zwischen muslimischer und christlicher Hemisphäre gelingt.

    Also zwischen den beiden nach allen Prognosen am schnellsten wachsenden Religionen. Neben dieser historischen Dimension kommt für Benedikt noch erschwerend hinzu, dass sein Besuch sehr konkrete politische Folgen in allerkürzester Zeit haben kann. Sollte es zu Schwierigkeiten beim Papst-Besuch kommen, würde dies die Haltung der EU-Mitgliedstaaten zu den Beitrittsverhandlungen sicher nicht unberührt lassen."

  • "Stuttgarter Nachrichten":
  • "Nationalisten und radikale Islamisten sehen Benedikt XVI. als einen besonders aggressiven Vertreter des christlichen Westens, als Feind der Muslime und als Gegner der Türkei. Einige begreifen den Papst-Besuch zudem als willkommene Gelegenheit, der türkischen EU-Bewerbung durch telegene Protestaktionen zu schaden. (...) Die Behörden rufen die Türken zur Mäßigung auf - jeder dürfe seine Meinung sagen, aber nur innerhalb gesetzlicher Grenzen, tönt es aus dem staatlichen Religionsamt. Doch die Tatsache, dass das halbe Kabinett während des Papst-Besuches fluchtartig das Land verlassen wird, vermittelt den Eindruck einer Visite, die den Gastgebern lästig ist." (APA/dpa)