Spaniens größtes Wohnbauprojekt wird nahe Madrid betrieben – der Bauherr versucht vergeblich, den zuständigen Bürgermeister wegen Baugenehmigungen zu bestechen.

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"Letzter anständiger Bürgermeister Spaniens" – diesen Titel verdankt der 50-jährige Schweißer Manuel Fuentes seinem härtesten Widersacher, dem Bauunternehmer Francisco Hernando. "Verlange was du willst", forderte der Baulöwe das politische Oberhaupt der Stadt Seseña in der Region Kastilien-La Mancha auf und hoffte, damit die Vergabe von Baugenehmigungen beschleunigen zu können. Doch Fuentes, aus den Reihen der Vereinigten Linken (IU), ließ sich nicht kaufen. "Du bist wohl der letzte anständige Bürgermeister Spaniens", tobte Hernando und beschimpfte Fuentes als "Schwachkopf".

13.500 Wohnungen

Der 57-jährige Hernando hat Großes vor. 13.500 Wohnungen sollen im Zuge des größten spanischen Bauprojekts entstehen – mitten auf der grünen Wiese, direkt an zwei Autobahnen, die ins nahe gelegene Madrid führen. "Ohne eine Stromversorgung, ohne Wasseranschluss und ohne soziale Einrichtungen für die 50.000 Bewohner", beschwert sich Fuentes. Er erteilt keine Baugenehmigung mehr, bis diese Probleme gelöst sind. Bisher sind erst 5000 Wohnungen fertig. "Wenn er glaubt, dass ich das einfach so hinnehme, täuscht er sich", droht Hernando. Noch vor wenigen Jahren mauerte der Analphabet Sickergruben und Abflusskanäle. Heute ist er Multimilliardär. Seine Methoden erinnern an das Chicago der 20er- und 30er-Jahre. Auch in Seseña: Mehrmals schickte Hernando mehr als 1000 Arbeiter vor das Rathaus. Der Bürgermeister sei schuld, wenn sie mangels neuer Genehmigungen arbeitslos würden.

Um die Bevölkerung zu gewinnen lädt er massenhaft Menschen zum Essen ein, veranstaltet Busreisen und subventioniert Vereine. Die von Hernando gegründete Gratiszeitung verbreitet die Botschaft vom großzügigen Unternehmer, der ungerechtfertigt das Opfer eines böswilligen Bürgermeisters ist. "In anderen Dörfern hat er das Gleiche gemacht", weiß Fuentes, für den das ganze Bauprojekt ein Unding ist. Seseña ist ein Dorf mit alten Häusern, die höchstens zwei Stockwerke haben. Die Siedlung Hernandos ist rund 900.000 Quadratmeter groß. Die Wohnblocks haben bis zu 10 Etagen. 50.000 Menschen sollen schon bald hier wohnen. "Eine solche Bebauungsdichte gibt es seit Anfang der Siebziger in Spanien nirgends mehr", sagt Fuentes.

Stille Umwidmung

Doch rückgängig machen kann er das nicht mehr. Sein Vorgänger von der sozialistischen PSOE schrieb das Baugebiet einst aus, ohne die Öffentlichkeit zu informieren. Der Vereinigten Linken liegen mittlerweile Beweise dafür vor, dass Hernandos Baufirma in einem Reitclub der Familie des ehemaligen Ministerpräsidenten von Kastillien-La Mancha und früheren Verteidigungsministers, des Sozialisten José Bono, tätig war. Das war im Jahr 2004, unmittelbar nach der Umwidmung des Agrarlands in Seseña.

Auch nach dem Bürgermeisterwechsel hat Hernando seine Leute im Gemeinderat. Die Sozialisten und die Konservativen stimmen immer wieder gemeinsam gegen Fuentes und die IU-Fraktion Anträge zugunsten von Hernando durch. "Wir verwalten die Gemeinde, regieren können wir schon längst nicht mehr", sagt Fuentes. Seseña ist kein Einzelfall. Überall in Spanien machen Bauskandale Schlagzeilen. Sechs Monate vor den nächsten Kommunalwahlen wird in hunderten von Gemeinden wegen Korruption ermittelt.

"Solidaritäts-Mails"

Der Mittelmeerort Marbella ist der bekannteste Fall. Dort sitzt die gesamte obere Etage der Gemeindeverwaltung in Haft. Keine Baugenehmigung an der sie nicht ordentlich mitverdient hätte. Selbst die Madrider Landespräsidentin Esperanza Aguirre soll in Baukorruption verstrickt sein. Der neue Hochgeschwindigkeitszug, der Madrid mit Barcelona verbindet, hält mitten auf dem Land, wo eine neue Makrosiedlung entstehen soll. Berichten der Presse zufolge gehört ein Teil des Geländes Angehörigen Aguirres. Nun hofft Bürgermeister Fuentes, dass Fälle wie Seseña die Bevölkerung mehr und mehr sensibilisieren. "Ich bekomme unzählige Solidaritäts-Mails", berichtet er, "nicht nur aus den eigenen Reihen, sondern auch von Konservativen und von Sozialisten" – aus anderen Gemeinden, versteht sich. Bisher trotzt tapfer ein spanischer Bürgermeister einem Baulöwen: Er verweigert Baugenehmigungen für eine Riesensiedlung nahe Madrid, weil ihm die Infrastruktur nicht gesichert scheint. Sein Widersacher wehrt sich mit untergriffigen Methoden. Reiner Wandler aus Madrid