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Eine Rekonstruktion des Bernsteinzimmers im Katharinenschloss in St. Petersburg. Einige Historiker vermuten, die berühmten Wandtäfelungen liegen noch immer in Kisten verpackt in bislang unentdeckten Kellerräumen unter dem ehemaligen Schloss von Königsberg.

Foto: AP/Alexander Zemlianichenko
Kaliningrad - Es ist das meistgesuchte Versteck im einstigen Königsberg: Nach dem Verbleib des weltberühmten Bernsteinzimmers, das der Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. dem russischen Zaren Peter dem Großen schenkte, wird seit Jahrzehnten im heutigen Kaliningrad und anderswo gefahndet. Niemand weiß, wohin die wertvollen Kisten in den Kriegswirren 1945 verschwanden. Der russische Historiker Sergej Trifonow behauptet jetzt, das Geheimnis gelüftet zu haben.

Der legendäre Kunstschatz soll mitten in Kaliningrad liegen - in einem Tunnelsystem unter dem Fluss Pregel, der die Stadt in zwei Armen durchfließt und dabei die Dominsel Kneiphof bildet. Eben dort soll sich, unweit des Domes, auch der Zugang zu dem geheimen Gang befinden. "Auf einer alten Karte von Königsberg sind deutliche Zeichen für ein unterirdisches Labyrinth eingetragen", sagt Trifonow.

Chefarchäologe bleibt skeptisch

Finden werde man dort nichts, meint allerdings Anatoli Walujew, Chefarchäologe des Kunsthistorischen Museums der Stadt. Er hält wenig von der These seines Kollegen: "Die Geschichte klingt sicher gut. Aber es gibt keinen einzige seriösen Beweis für so ein Tunnelsystem."

Der Tunnel führt demnach in 16,5 Metern Tiefe unter dem Pregel hindurch bis in ein verborgenes und sehr wahrscheinlich verschüttetes Kellergeschoss nahe des einstigen Königsberger Schlosses. Vermutlich Anfang April 1945, kurz bevor die Rote Armee Ostpreußens Hauptstadt erstürmte, hätten die Deutschen das in Kisten verpackte Bernsteinzimmer im Tunnel versteckt. "Dort unten herrschen konstante Temperaturen um zwei Grad und eine hohe Luftfeuchtigkeit, ideal für die Lagerung von Bernstein. Das wussten die Deutschen natürlich", sagt Trifonow.

Suchaktion unter Wasser

Gefunden hat der Historiker den Tunnel freilich noch nicht. Der Einstieg, vermutet er, liege inzwischen wahrscheinlich unter Wasser. Ein erster Versuch von Kaliningrader Sporttauchern endete ergebnislos: Im stark verschmutzten Wasser des Pregels ist die Sicht fast null. Darum soll die Suchaktion in den nächsten Wochen mit mehr Licht und spezieller Ausrüstung fortgesetzt werden.

Ganz so abwegig scheint Trifonows Version nicht. Als man vor einigen Jahren auf Höhe der Dominsel eine Baugrube aushob, legte der Bagger plötzlich eine über zwei Meter durchmessende, gemauerte Röhre frei, die allerdings nach einigen Metern verschüttet war. Zu aufwändig und gefährlich war den Verantwortlichen damals die Erforschung der rätselhaften Röhre, doch sie liegt tatsächlich nahe der Linie, in der Trifonow jetzt den Pregel-Tunnel vermutet.

Funde wie diese halten den Mythos Königsberg in Kaliningrad am Leben. Der Bauboom tut sein Übriges. Fast jede Baugrube im Stadtzentrum öffnet Blicke auf unbekannte Keller und Fundamente: Die Topografie der alten Ostpreußenmetropole, im Krieg zerbombt und zu sowjetischer Zeit gründlich eingeebnet, taucht nun parzellenweise wieder auf. Und nichts beflügelt die Fantasie in dieser "Stadt mit doppeltem Boden" dabei so wie das Schicksal des verschollenen Bernsteinzimmers.

27 verschwundene Holzkisten

Selbst nüchterne Wissenschaftler wie Anatolij Walujew können sich dem nicht entziehen. Seit drei Jahren graben auch er und sein Team die Keller des 1969 gesprengten und verschütteten Königsberger Schlosses wieder aus - auf Kosten des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel". Die Hamburger finanzieren die Aktion, weil sie sich Hinweise auf den Verbleib des Bernsteinzimmers erhoffen, das hier im Schloss 1945 zum letzten Mal sicher gesehen wurde: versandfertig verpackt in 27 Holzkisten.

Vieles deutet darauf hin, dass der Kunstschatz das von der Roten Armee bereits abgeriegelte Königsberg nicht mehr verlassen hat. Darum ließ der KGB schon zu sowjetischen Zeiten an über 400 Stellen in der Stadt und ihrer Umgebung nach den versteckten Kisten graben. Vergeblich, wie man weiß.

Und obwohl inzwischen große Teile des südlichen und westlichen Flügels freiliegen, lieferten auch die Keller des Schlosses bislang keine konkrete Spur. Das wird sich möglicherweise ändern, denn im November begannen die Ausgrabungen in der Nordostecke an der Stelle des einstigen Unfried-Baus. Der Unterbau dieses ältesten Teils des Schlosses gilt als besonders geheimnisvoll. Vielleicht stoßen die Archäologen dort gar auf einen unterirdischen Gang? Denn eben hier soll der Tunnel beginnen, in dem Sergej Trifonow das Bernsteinzimmer vermutet. (APA/dpa/Red)