In den walisischen Wäldern sieht es Anfang Dezember so aus, wie man sich die walisischen Wälder spät im Jahr vorstellt. Das Geläuf ist tief. Vom Atlantik fegen die Sturmböen herein. So heftig, dass sie bisweilen blaue Löcher in den grauen Himmel reißen. Ein Regenbogen erscheint. Er hört nicht irgendwo auf und verschwimmt, sondern wächst direkt aus dem Land, um nach einem perfekten Halbkreis in aller Deutlichkeit wieder im Grund zu versinken. Immer wieder regnet es Hunde und Katzen herab, wie der Brite zu sagen pflegt.
Weil aber die Britin und der Brite und ihre Kinder ein großes Herz für den Sport in jeder Ausformung haben und sich im Lauf der Jahrhunderte an das Wetter gewöhnten, strömten sie am Wochenende zu Tausenden in die walisischen Wälder, um sich die Wales Rally GB zu geben, den 16. und letzten WM-Lauf der Saison. Das ist nicht billig. Am Freitag kostete der Tagespass 35 Pfund, am Samstag und am Sonntag war er schon um 22 zu haben. Der Pass gewährt Zutritt zu einem Aussichtspunkt im Wald, an dem die Autos zweimal am Tag vorbeibrausen, zudem den Eintritt in den Service Park in Swansea, wo man beim Schrauben zusehen kann und die Piloten helmlos antrifft.
Der gezogene Schwung
Im Gatsch zeigte der Wiener Manfred Stohl (34), geleitet von der Kärntnerin Ilka Minor (31), in seinem bereits 110. WM-Lauf schön gezogene Schwünge mit seinem OMV-Peugeot 307, die Briten geizten nicht mit Applaus. Draußen im Wald geht's ja nicht um den Überblick, sondern um die Szene an sich. Genau darum ging es auch am Samstagabend im Millennium Stadium zu Cardiff bei der ein Kilometer langen, für die Gesamtwertung völlig unwesentlichen 13. Sonderprüfung. Stohl belegte mit 1,2 Sekunden Rückstand auf den zweifachen finnischen Weltmeister Marcus Grönholm im Ford Focus des Werksteams Rang zwei. Das Stadiondach war einen Spalt geöffnet, aufdass die Auspuffgase entweichen konnten. 20.000 Menschen schauten zu, das kostete pro Nase noch einmal 12,50 bis 30 Pfund je nach Rang. Nicht der Nase, sondern jenem im Stadion. Auf der Anzeigetafel lief nicht einmal die Zeit mit.
Genau um diese aber hat es in der Endabrechnung zu gehen. Nach insgesamt 1206,67 Kilometern, 355,92 davon aufgeteilt auf 17 Sonderprüfungen, kamen Stohl und Minor als Zweite hinter Grönholm auf der Zielrampe im Millennium Stadium an. Der Rückstand betrug 1:35,5 Minuten. "Mein Gasfuß hat richtig gezittert", kommentierte Stohl die letzten SP-Kilometer, als schon klar war, dass ihm nur noch ein Defekt oder ein Ausrutscher den zweiten Platz nehmen konnte. "Ich habe auf jedes Geräusch gehört", erzählte der gelernte Mechaniker noch. Die Nervosität wurde gesteigert, als er einen vom Sturm auf die Strecke geworfenen Baum streifte.
Ein großer Wert
Stohl, heuer dreimal Dritter, errang seinen zweiten zweiten Platz nach Zypern im Vorjahr, "doch dieser", kommentierte er, "ist viel mehr wert, damals hatte ich mehr als vier Minuten Rückstand." In der WM überholte er noch den spanischen Citroën-Piloten Dani Sordo und schaffte den vierten Gesamtrang. Sebastien Loeb (Citroën) ist zum dritten Mal en suite Weltmeister, obwohl er die letzten vier WM-Läufe verletzungsbedingt auslassen musste
Für Andreas Aigner, den zweiten Österreicher in der Rallye-WM, dem der Deutsche Klaus Wicha den Weg weist, war das Rennen bereits am Freitagabend zu Ende. Der 22-jährige Steirer produzierte mit seinem Skoda Fabia an zwölfter Stelle liegend einen zweifachen Überschlag. Das Super-Rallye-Reglement, das ein Weiterfahren mit fünfminütiger Zeitstrafe pro verpasster SP am nächsten Tag erlaubt, nützte nichts, das Auto war nicht mehr zu reparieren. Aigner schaffte in seiner ersten Saison in einem World Rallye Car in Deutschland überraschend Rang sechs. Weshalb er auch im nächsten Jahr sein Leiberl im Red-Bull-Team hat. Aigner war vor drei Jahren dank eines Zeitungsinserates auf die Driver Search aufmerksam geworden und setzte sich als einer, der Motorsport bis dahin nur aus dem TV kannte, gegen 399 Konkurrenten durch. Das Team wartet nun auf die Antwort, ob auch Skoda wieder mitspielt. (DER STANDARD PRINTAUSGABE 4.12. 2006)