97 Prozent des menschlichen Genoms sind entschlüsselt. Damit ist zwar erst ein Anfang gemacht, aber das Ende - allem Widerstand zum Trotz - absehbar. Von Elisabeth Pechmann Wie viele dauerhaft verhinderte technische Fortschritte verzeichnet die Chronik der Menschheit? Eben. Statt dessen ist die Entwicklungsgeschichte voll von den Niederlagen der Bremser. Auch die BedenkenträgerInnen zum Thema Gen-Medizin werden ein Kapitel füllen, ob sie nun provozieren wie Peter Sloterdijk, alarmieren wie die wundersame Koalition aus Kirche und 68er-Epigonen oder kalmieren wie die Wissenschaftsskeptiker, die sich darauf verlassen, dass die Forschung über ihre eigene Arroganz stolpern werde. Tatsächlich hat man mit der nahezu vollständigen Entschlüsselung des genetischen Codes noch nicht viel erreicht. Der aktuelle Stand bringt einen in der Praxis etwa so weit wie das Beherrschen des kyrillischen Alphabets beim Russischlernen. Es stimmt weiters, dass die Ergebnisse aktueller Experimente jede Menge Rückschläge enthalten: Die Mortalitätsrate geklonter Tierbabys ist überdurchschnittlich hoch, Therapieversuche an Menschen liefern oft nur temporäre Erfolge oder enden tödlich, und so manches PR-befeuerte Resultat aus dem Gen-Labor soll sich im Nachhinein sogar als Fake erwiesen haben. Der Fortschritt wird dadurch bestenfalls verlangsamt. Aufzuhalten ist er nicht. Schon deshalb nicht, weil zu viel Geld drin steckt. Allein die Human Genome Organization ("Hugo") - eine internationale, öffentlich finanzierte Kooperative einschlägiger Firmen - startete mit einem Budget von 42 Mrd. Schilling. Solche Beträge investiert man nicht für den Hugo. Dazu kommen die vielen Privatunternehmer, allen voran Craig Venter und seine Celera Genetics, die nun gemeinsam mit der Human Genome Organization den Decodierungslorbeer einheimste. Etliche dieser Biotechnikfirmen notieren an der Börse. Ebenso die IT-Schmieden, die den Entschlüsslern die Arbeitsgeräte liefern. Und die Pharma-Konzerne, die aus den Resultaten bald profitabel verkäufliche Medikamente machen wollen. Gen-KritikerInnen haben das Business gegen sich Dass das Geschäft läuft, interessiert also nicht nur die Besatzungen der Elfenbeintürme, sondern auch den durchschnittlichen österreichischen Fonds-Sparer der höheren Risikoklasse. Fazit: Das Business haben die Gen-KritikerInnen gegen sich. Die selbst verordneten ethischen Grenzen der Branche? Makulatur. US-ForscherInnen antichambrieren bereits heftig bei der Gesundheitsbehörde, um die strengen Versuchsauflagen gemildert zu bekommen. Jede Wette, dass es ihnen gelingt. In einem Spiegel-Interview sagte der deutsche Bio-Ethiker Ludger Honnefelder auf die Frage nach genetischen Eingriffen an Ungeborenen: "Die Keimbahnintervention wird weltweit nicht praktiziert." Um anschließend verschämt zu konzedieren, dass an befruchteten Eizellen im Frühstadium sehr wohl Experimente vorgenommen würden. Dass die Eugenik-Projekte des Dritten Reiches - Lebensborn & Co. - bis zum Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg von Amerika gelobt und gesponsert wurden, hebt das Vertrauen in humanitäre Verantwortlichkeiten auch nicht gerade. Zudem wird die neue Medizin strategisch perfekt im öffentlichen Bewusstsein verankert: nach der Salamitaktik. Jeder wird begrüßen, wenn den Labors effiziente Krebsfrühdiagnostik entsprießt. Dass die Gen-Tests bereits im pränatalen Stadium stattfinden können und beileibe nicht nur Gesundheitsgefahren, sondern auch Prädispositionen zu Gewalttätigkeit oder Homosexualität aufdecken, schickt man erst nach erfolgter geistiger Gewöhnung nach. Aufzuzeigen, dass ein DNA-Ausblick auf künftige Krankheiten zum Beispiel Versicherungen dazu einladen mag, RisikopatientInnen schlechter zu stellen - und natürlich werden sie das tun, genauso wie sie heute in ihren Kfz-Sparten äußerst differenzierte (und selbstverständlich streng interne) Autofahrer-Typologien einsetzen -, überlässt man überhaupt anderen. Doch auch solche Bedenken werden den Weg nicht verlegen. Denn schließlich passt das Konzept gentechnischer Reparatur und Optimierung wunderbar ins Bild, das die Menschen abgeben, wenn man sie nicht durch die rosa Brille von Klerus oder politischer Korrektheit betrachtet: Hungrig stürzen sie sich auf Potenzpillen, gierig greifen sie nach dem synthetischen Stimmungskick, bereitwillig legen sie sich unters Messer, um Falten-, Figur- oder Frisurprobleme lösen zu lassen. Wäre nicht verwunderlich, wenn dieser gigantische Markt den Gen-PharmakologInnen lohnender erschiene als zuverlässige Alzheimer-Therapien. Auch die Idee der Selektion - vom designten Baby über künstlich erhöhte Intelligenz bis zu vorsorglich ausgesiebten Schwulen und Lesben - trifft ins Schwarze. Man muss nicht zu Nietzsche oder Nazi-Literatur greifen, um die Lust auf Übermenschlichkeit zu orten. Beim nächsten Bar-Tratsch zuzuhören, in Chatrooms rein zu klicken oder Rausschmeiß-Shows wie "Big Brother" als das zu verstehen, was sie sind - nämlich angewandter Darwin für Couch-Potatoes -, genügt völlig. Also werden die Menschen kriegen, was sie wollen: das Lebensglück aus dem Labor. Und von denen, die das heute kritisieren, wird nicht einmal eine Stammzellen-Reserve übrig bleiben. Elisabeth Pechmann ist Journalistin in Wien.