Die Zigarette im Mund, den Klavier-auszug im Kopf – Sven-Eric Bechtolf als "Arabella"-Regisseur.

Foto: STANDARD/Regine Hendrich
Wien – "Tut mir leid, dass Sie warten mussten." Die beinah offensive Gleichgültigkeit, mit der sich der Starmime für seine Verspätung entschuldigt, ließ zunächst ahnen, dass er auf ein Gespräch über seine Arbeit als Arabella -Regisseur an der Staatsoper verdammt wenig Bock hat. Schon gar im Anschluss an eine Probe.

Doch unmittelbar darauf gewinnt seine Performance mit der Frage, ob man ihm mit einer Zigarette aushelfen könnte, zusehends an Intensität. Wohl habe er seine Assistentin schon ausgeschickt, um welche zu kaufen, doch es wäre halt schön, wenn er jetzt gleich eine hätte. Der Satz ist noch nicht zu Ende gesprochen, da labt Standard-Fotografin Regine Hendrich auch schon ihr erschöpftes Modell.

Shootingstar der Oper

Die Zigarette und vor allem das zugehörige Feuer brechen das Eis. Und als schließlich eine junge Dame ihrem Meister das gewünschte Päckchen, diskret in einem gelben Geschäftskuvert getarnt, überreicht, ist das Gespräch im blauen Dunst schon längst dort, wohin Bechtolf zunächst vielleicht gar nicht wollte.

Seit seiner Aufsehen erregenden Lulu-Inszenierung in Zürich im Jahr 2000 gilt er als der Shootingstar unter den Opernregisseuren. Nachdem er mit Verdis Otello, Korngolds Toter Stadt und dem Rosenkavalier von Richard Strauss in Zürich auch noch erfolgreich nachgelegt hatte, wurde er auch für die Staatsoper nicht nur Strauss- sondern auch Wagner-würdig – in den nächsten drei Jahren soll er in Wien einen neuen Ring inszenieren.

Vorderhand geht es aber noch um die Arabella. Und zunächst nicht einmal um die, sondern um den Unterschied zwischen dem Sprechtheater und der Oper. Wen sonst sollte man das fragen als einen, dem man schon zweimal den Nestroypreis für die beste schauspielerische Leistung verpasst hat und der seit Jahrzehnten zwischen Hamburg und Wien seine Schauspiel- Inszenierungen abliefert.

Die Antwort ist plausibel. Im Sprechtheater muss man im Verlauf der Proben nach dem suchen, was in der Oper durch die Musik schon da ist, nämlich nach dem emotionalen Kontext. Um dem Verlauf einer Sprechtheateraufführung den Eindruck des Schlüssigen zu geben, muss man für jede Szene viele Varianten ausprobieren, bis sich eine dann als die richtige erweist.

In der Oper ist das nicht nötig. Und freilich auch nicht möglich. Hier verbietet allein schon der aufwändige Apparat einen ziellosen Szenentest mit offenem Ausgang. Da heißt es mit einem fertigen Konzept anzutreten. Und selbstverständ-lich muss man als Regisseur auch die Musik intus haben.

Bechtolf studiert zwar nicht die Partitur, doch den Klavierauszug hat er sich bis zu einem solchen Grad einverleibt, dass ihm der Ablauf der Arabella stets auch musikalisch völlig präsent ist.

Anders geht es ja auch gar nicht, da die Oper auch szenisch anderen Gesetzen folgt wie das Sprechtheater: Was die Musik an emotioneller Dichte und atmosphärischem Ambiente einbringt, nimmt sie sich durch das von Aufführung zu Aufführung variable, aber dennoch stets vorhandene Defizit an Textdeutlichkeit.

Deshalb bemüht sich Bechtolf um eine einprägsame szenische Bildersprache, durch die der Ablauf der Handlung auch optisch suggeriert wird und der Betrachter nicht ausschließlich auf das nicht immer sehr deutlich gesungene Wort angewiesen ist.

Bei allem Feeling für das Musiktheater, das Bechtolf an den Tag legt, verwundert es trotzdem, dass sich ein Künstler von seiner intellektuellen Schärfe mit einem Stück wie Arabella einlässt, das ja gemeinhin nicht unbedingt als das am besten geglückte Produkt der Opernmanufaktur von Strauss/Hofmannsthal angesehen wird.

Bechtolf ist diesbezüglich anderer Ansicht und verrät mit seinen Argumenten nicht nur Intellekt, sondern auch Intuition. Für ihn ist die operettenhaft labile Halbwelt, in der sich die den Schein als Sein vorgaukelnden Arabella-Akteure bewegen, ein gesellschaftlicher Kosmos, der aus den Fugen geraten ist.

Wichtige Außenseiter

In dieser verstörten Welt gibt es zwei Außenseiter. Als Erstes kommt Bechtolf auf die Kartenlegerin zu sprechen. In der üblichen Betrachtungsweise gilt sie bestenfalls als pittoreske Nebenfigur. Dabei wird völlig übersehen, dass sie ja gleich zu Beginn des Werkes dessen Handlung in ihren wesentlichen Zügen vorhersagt. Mit ihrem präkognitiven Wissen hat sie für Bechtolf eine wichtige Funktion.

Von noch größerer Bedeutung ist nach Bechtolfs Meinung die Gestalt des Mandry-ka. Nicht nur mit seinem Geld hilft dieser von irgendwo aus dem slawonischen Bauernland hereingeschneite wohlbestallte Witwer der Gesellschaft aus der Bredouille. Mit der Klarheit seiner Empfindungen und mit der Direktheit, mit der er diese äußert, verpasst er seiner sich andauernd verstellenden und gegenseitig täuschenden Umgebung einen heilsamen Stoß in ihr unehrliches System.

Dieses wird, wie Bechtolf es ausdrückt, "genordet". Das heißt, seine Werteskala wird durch Mandrykas Geradlinigkeit der fälligen Korrektur unterzogen.

Da ist der blaue Dunst der zu Beginn der Konversation geschnorrten Zigarette aber schon längst verschwelt. (Peter Vujica/ DER STANDARD, Printausgabe, 06.12.2006)