Wien - Ihr "sechster Sinn" verriet Margarete Navratil am Abend des 4. März 1975, dass ihr Mann Thomas einen Unfall gehabt haben muss. Ein Polizist brachte in der Nacht die Bestätigung: Durch einen Verkehrsunfall beim Ausliefern von Medikamenten war der damals 25-Jährige an der Halswirbelsäule schwer verletzt worden. Bereits im August 1975 kam Thomas Navratil wieder nach Hause, auf Krücken. Seither hat sich sein Gesundheitszustand drastisch verschlechtert. Selbstständig sind nur mehr Hände und Arme zu bewegen. Das Schlucken fällt immer schwerer, sodass er ständig auf Hilfe angewiesen ist. Margarete Navratil wird von ihren erwachsenen Töchtern Gabriela, Adele, Bettina und Mireille kräftig unterstützt. Nach zwei Schlaganfällen und einer Lungenerkrankung ist auch ihr Aktionsradius eingeschränkt. Als Anerkennung für die aufopfernde und fürsorgliche Pflege ihres Mannes zu Hause erhielt die heute 69-jährige Margarete Navratil den AUVA-Pflegepreis 2006 für Wien.

Über den Preis

Er wurde heuer zum neunten Mal für die mehrjährige, aufopfernde Pflege eines nach einem Arbeitsunfalls dauerhaft Schwerverletzten im Familienverband vergeben. Die Verleihung fand am Mittwoch im Wiener Rathaus statt.

Der Pflegepreis entstand 1998 auf Initiative der Landesstelle Wien der AUVA und steht unter der Patronanz von Bürgermeister Michael Häupl. Neben einer Urkunde aus dem Bronze-Relief "Sonnenstiege" des Künstlers Horst Aschermann erhält die Preisträgerin auch einen Erholungsurlaub in einem behindertengerechten Hotel. Slobodanka Nikolic, Pflegepreisträgerin Wien 2005, will den Urlaubsaufenthalt erst kommendes Jahr in Kirchberg in Tirol konsumieren: 2006 war es auf Grund der vielen Krankenhausaufenthalte ihres Sohnes Dragan nicht möglich.

Margarete Navratil und ihre Töchter: ein starkes Frauen-Team

Margarete und Thomas Navratil haben sich 1970 in einem Tanzlokal kennen gelernt, 1971 geheiratet und eine gemeinsame Tochter Mireille. Vier Mädchen hat Margarete in die Ehe mitgebracht. Gabriela, Adele und Bettina unterstützen ihre Mutter bei der Pflege und im Haushalt täglich. Trotz eigener Familie, Haustiere und insgesamt elf Kinder. Ein starkes Frauen-Team.

Einmal nichts tun

"So leicht lassen wir uns nicht unterkriegen", meint die 69-jährige, die ihr lebenslustiges Lachen nicht verloren hat. Ihr Tagesablauf richtet sich nach dem Befinden ihres Mannes. Oft kann er in der Nacht nicht schlafen, sieht lange fern und schläft erst in der Früh für zwei, drei Stunden ein. Diese Zeit nützt die Pflegepreisträgerin für einen Spaziergang in der Wohnhausanlage und einen Kaffee bei einer Verwandten in einem Frühstückslokal. Jedes Jahr fährt Thomas Navratil zur Rehabilitation ins AUVA-Zentrum Tobelbad. Diese Tage bieten seiner Frau Zeit, sich auszuruhen und "nichts zu tun" - so nicht Besuch kommt. Zuletzt waren die Navratils im Jahr 2001 auf Urlaub. Das bevorzugte Reiseziel solange sich Thomas Navratil noch besser bewegen konnte, war Afrika.

Wohnung pflegegerecht

Die gelernte Tapeziererin hat bis 1995 ebenfalls gearbeitet und dazu verdient. Heute wäre dies nicht mehr möglich. Mit viel Lebensweisheit, Humor und dem Zuspruch ihrer Familie meistert sie auch weniger angenehme Stunden und Tage. Thomas Navratil machen vor allem die Verschlechterung seiner Beweglichkeit und der Dauerschmerz zu schaffen. Die Gemeindewohnung konnte mit Unterstützung der AUVA pflegegerecht umgebaut werden.

Die AUVA-Landesstelle Wien unterstützt die Familie Navratil mit medizinischen Hilfsmitteln, Hygieneartikeln, Darlehen und Zuschüssen zu behindertengerechten Umbauten und zum Fahrzeugkauf - bisher in Höhe von rund 294.000 Euro. Thomas Navratil bekommt eine Invaliditätspension der Pensionsversicherungsanstalt, eine Versehrtenrente der AUVA sowie derzeit Pflegegeld der Stufe 5.

5.000 Menschen jährlich

In Österreich leben rund 7.300 Schwerstversehrte nach einem Arbeitsunfall und rund 3.000 davon in Wien, Niederösterreich und Burgenland. In Wien fallen derzeit sechs AUVA-Versehrte in die Pflegestufe 7 (bis zu Wachkoma), fünf Versehrte in die Pflegestufe 6 sowie 15 Versehrte in die Pflegestufe 5 (schwere Querschnittslähmungen). Für die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) zählt die Rehabilitation neben der Prävention, der Unfallheilbehandlung und der finanziellen Entschädigung zu den vier Kernaufgaben. In den vier AUVA-Rehabilitationszentren in Österreich werden jährlich 5.000 Menschen nach Unfällen so weit wie möglich auf die Rückkehr in ein selbstbestimmtes, unabhängiges Leben vorbereitet. (red)