Warschau - Große Empörung herrscht unter den polnischen PolitikerInnen über die Affäre um sexuelle Belästigung in der mitregierenden populistischen Bauernpartei Samoobrona (Selbstverteidigung). Alle Nicht-Samoobrona-PolitikerInnen - egal ob links oder rechts des politischen Spektrums - sind sich in ihrer Beurteilung einig: Sie zeigen sich über die Vorwürfe der sexuellen Ausbeutung von Frauen durch Samoobrona-Vizechef Stanislaw Lyzwinski sowie Vizepremier und Samoobrona-Chef Andrzej Lepper schockiert. Und sie fordern eine rasche Untersuchung durch die Staatsanwaltschaft.

Für Marek Borowski von der Sozialdemokratie Polens (SdPl) bedeutet dieser Skandal das endgültige Ende Leppers. "Ich kann nur meine Befriedigung ausdrücken, weil seine Tätigkeit die polnische Politik lächerlich machte", sagte er im Gespräch mit der Tageszeitung "Gazeta Wyborcza".

Die Aussagen von immer mehr Frauen aus den Samoobrona-Parteibüros empörten auch Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski von der rechtskonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Seit ein paar Tagen wiederholt er entschlossen, dass er nicht vorhabe, mit Lepper zusammenzuarbeiten, sollten sich die Vorwürfe bestätigen. Dies würde allerdings auch das Ende der jetzigen PiS-Samoobrona-LPR-Koalition bedeuten.

Keine Beweise, keine Gefahr für Koalition

Vizepremier und Vorsitzender der nationalkatholischen Liga Polnischer Familien (LPR) Roman Giertych sagte zwar, dass, solange keine Beweise vorliegen, die Koalition nicht gefährdet sei. Aber auch er empfinde "Missbehagen". Eine hochrangige PiS-Abgeordnete, Jolanta Szczypinska, sagte im staatlichen Fernsehen TVP2, dass diese Situation in vorgezogene Neuwahlen münden könnte.

Beschuldigung im TV

Mittlerweile hat der Skandal auch das große mediale Parkett erreicht. Am Dienstagabend trat Aneta Krawczyk, die ehemalige Assistentin des Samoobrona-Abgeordneten Stanislaw Lyzwinski, im Privatsender TVN auf und beschuldigte ihren ehemaligen Chef.

Zu Abtreibung aufgefordert

Lyzwinski habe sie nicht nur unter der Drohung, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, zum Sex gezwungen, erzählte Krawczyk. Er habe sie außerdem gedrängt, die angeblich daraus entstandene Schwangerschaft abzubrechen. "Er hat mir befohlen, das zu erledigen", sagte die Mutter einer dreieinhalb-jährigen Tochter. Als sie schon im sechsten Monat war, habe sie von einem mit der Samoobrona verbundenen Veterinär-Mediziner ein Präparat bekommen, das zu einer Fehlgeburt führen sollte.

Auch Samoobrona-Chef Andrzej Lepper beschuldigte Krawczyk erneut. Um seine Zustimmung zu ihrer Einstellung als Geschäftsleiterin von Lyzwinskis Büro, zu geben, als dieser Abgeordneter war, habe auch Lepper Geschlechtsverkehr von ihr gefordert. Der Landwirtschaftsminister und Vizepremier widersprach dieser Behauptung mehrfach. Lyzwinski äußerte sich bisher nicht öffentlich zu den Vorwürfen. Ein Vertrauter von ihm beteuerte allerdings, Lyzwinski sei nicht der Vater des Kindes von Aneta Krawczyk.

Konträre Meinungen

In der Parlamentsfraktion der Samoobrona herrscht nach Informationen der Tageszeitung "Rzeczpospolita" die Überzeugung, dass Lepper unschuldig sei. Anders ist die Meinung über Lyzwinski. Der Abgeordnete habe sich erst vergangene Woche bei einer Feier mit zwei jungen Mitarbeiterinnen seines Büros "in eindeutiger Weise" gezeigt, so das Blatt. "Lyzwinski verbrennen wir auf dem Scheiterhaufen", zitierte "Rzeczpospolita" einen Samoobrona-Abgeordneten. (APA/red)