Kabarettist und Globalisierungskritiker Thomas Maurer irritieren Tirolerstutzen made in Taiwan und Che-Guevara-T-Shirts als "Lifestyle-Tools". Aber alte Weine, die ziehen ihn an.

Zur Person
Thomas Maurer (39) ist Kabarettist und gelernter Buchhändler. Der Wiener spielt gerade sein 12. Soloprogramm ("Menschenfreund"), in den Programmen davor hat er sich mit Jörg Haider und der FPÖ beschäftigt.
Auch Medien und die Literatur haben es dem Vater eines 12-jährigen Sohnes angetan: Im Kurier schreibt der ehemalige Pfadfinder und "Logbuchführer der Patrouille Mustang" Medienkritiken; im ORF präsentiert er neue Bücher. Maurer, gleich alt wie BZÖ-Chef Peter Westenthaler, steht in der Tradition der "neuen Welle": Statt Nummernkabarett gibt der Mann mit "dem adhäsiven Textgedächtnis" selbst geschriebene Stücke, die autobiografisch gefärbt sind.

Foto: STANDARD/Hendrich
Was Beichte und Privatvorsorge und Literatur-Nobelpreis und Skirangliste miteinander zu tun haben, erfuhr Renate Graber von ihm.

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STANDARD: ÖVP und SPÖ verhandeln eine große Koalition, Jörg Haider und die FPÖ spielen nur noch marginale Rollen. Da kommt Ihnen Ihr bestes Kabarett-Produkt abhanden.

Maurer: Haider geht mir politisch gar nicht ab - und künstlerisch auch nicht. Es muss sich schon einmal besser angefühlt haben, Jörg Haider zu sein; aber es ist schon vergönnt. Obwohl: Früher war ich sogar in deutschen Talkshows eingeladen, als FPÖ-Experte. Ich bin jedenfalls besser dran als viele FPÖler oder BZÖler, die jetzt arbeitslos sind. Der Karli Schweitzer (BZÖ-Sport-Staatssekretär, Anm.) geht sicher jeden Tag Kerzerln stiften, dass es ihn immer noch gibt und dass er einen Pensionsanspruch erworben hat. Er wär ja das klassische Opfer für eine der politischen Säuberungen gewesen, kein Mensch weiß, warum er's nie wurde.

STANDARD: Sie orten einen Hang zu Biedermeier und Idylle. Die Österreicher fühlen sich aber immer mehr unter Druck, haben Angst um ihre Jobs.

Maurer: In Wirklichkeit besinne ich mich auf die erste Satirikertugend, die Nestbeschmutzung: Drum tu ich mich im linksliberalen Milieu um oder in dem, was davon übrig ist. Aus dieser Spittelbergisierung des alternativen Lagers hat sich diese Biedermeier-Idee automatisch ergeben. (Spittelberg: grün-bürgerliche Gegend in Wien-Neubau, Anm.)

STANDARD: Ich wohne dort ...

Maurer: ... eh schön ...

STANDARD: ... aber Biedermeier?

Maurer: Es geht ums Biotop der bourgeoisen Bohemiens, der Bobos, die irgendwann einmal friedensbewegt oder ein bisserl mehr links waren und jetzt für den Partikelfilter im dicken Auto aufzahlen.

STANDARD: Sie wohnen im gutbürgerlichen Währing.

Maurer: Angenehme Wohnung zu angenehmen Konditionen. Partiell gehöre ich zum Milieu, und ich habe in meinem Leben auch schon schlechter verdient. Aber die Sehnsucht nach Idylle gibt es, die kommt aus einem substanziellen Gefühl der Bedrohung.

STANDARD: Wovon bedroht?

Maurer: Im Biedermeier hat man sich vor der Walze der Industrialisierung gefürchtet und in den lauschigen Innenhof geflüchtet, in dem das Brünnlein fröhlich gluckste. Heute gibt es auch diese dumpfe Ahnung, dass es so, wie es bisher war, nicht bleiben wird. Schlagwort: Globalisierung. Das sind so irritierende Alltagserlebnisse, dass halt deine Tirolerstutzen, die du in Wien kaufst, ein Markerl drin haben, dass sie aus Taiwan sind. Globalisierung wird ja auch als Druckmittel auf Arbeitende massiv eingesetzt. Zugleich plagt den Gutmenschen das klassische, zwischen sozialistischer und katholischer Sozialisation gebildete, schlechte Gewissen.

STANDARD: Katholiken können ja beichten gehen.

Maurer: Ja, und die säkulare Alternative zur Beichte ist die Privatvorsorge.

STANDARD: Haben Sie eine?

Maurer: Ja, obwohl ich's politisch für Blödsinn halte.

STANDARD: Sie kritisieren den Kapitalismus aus einer recht komfortablen Position heraus.

Maurer: Der Kapitalismus wird es aushalten. Er ist so widerstandsfähig geworden, weil er auch die Opposition so blitzschnell integrieren und geschäftsfähig machen konnte. Es gibt keinen Standpunkt für einen Kritiker, der außerhalb des Systems steht. Aber man muss schon sagen, dass wir unsere politischen Haltungen mittlerweile als Lifestyle-Tool verwenden: Wir kaufen unsere Che-Guevara-Leiberln bei H&M.

STANDARD: Kaufen Sie nie bei H&M ein?

Maurer: Ich mag's nicht so gern, das ist eher für Leute, die gern oft Gewand kaufen und dann wegwerfen. Aber mit meinem Sohn gehe ich schon auch zu H&M; er wächst schnell raus.

STANDARD: Gar keine Manager, die Ihnen imponieren?

Maurer: Doch, Bill Gates, der mit seinem zweitklassigen Produkt Microsoft die Weltherrschaft erreicht hat und jetzt auch noch Philanthrop des Jahres wird mit seiner Privatspende, die ja natürlich die größte der Geschichte ist. Und bei uns Dieter Mateschitz mit seinem Red Bull, super. Das macht munter, weil es einen so beutelt, wenn man's trinkt. Offenbar gibt es derzeit einen Bedarf an Heldenfiguren aus dem Unternehmertum; unsere Großeltern hatten stattdessen die Nibelungen.

STANDARD: Der Staat als Unternehmer hat sich eben nicht so richtig mit Ruhm bekleckert, auch die sozialdemokratisch dominierten Unternehmen wie Konsum oder Bawag sind den Bach hinuntergegangen.

Maurer: Da geb ich Ihnen recht, auch die Sozialdemokraten sind den Insignien der Macht auf den Leim gegangen. Verzetnitsch wohnt in einem Dachausbau, wenn auch der Dachgarten aus Waschbeton ist, wie ich weiß, weil ich das von vis-à-vis einmal gesehen habe. Und sogar Ex-Kanzler Vranitzky wohnt in diesem Magna-Reichengetto Fontana in Ebreichsdorf. Da leben Leute, die hat das Dorf noch nie gesehen, die lassen sich ihr Essen und Trinken liefern und am Abend mit dem Taxi in die Oper chauffieren. Und ausgerechnet der rote Ex-Kanzler sitzt im Magna-Aufsichtsrat, in einem Unternehmen, das keine Gewerkschaften zulässt. Aber auch einem Gerhard Schröder ist das Gefühl dafür abhanden gekommen, was statthaft ist: Er posiert für ein Magazin im Brioni-Anzug um 6000 Euro, mit Cohiba im Mund. Wenn er kein Deutscher wäre, müsste man sagen, er ist ein Strizzi. Und jetzt hält er das Händchen auf. Beim lupenreinen Demokraten.

STANDARD: Sie reden von Wladimir Putin. Dem Ehepaar Klestil hat er ja einst Hunde geschenkt.

Maurer: Ja, sie haben aber auch Rennkamele und Araberhengste geschenkt bekommen, die fressen dir die Haare vom Kopf, drum sind die jetzt in Schönbrunn. Irgendwer muss das Gerücht gestreut haben: "Die haben gern Tiere."

STANDARD: Ich wollte noch einmal kurz zurück zu Wirtschaft und Politik. Sie sagen, dass eine "komplett entfesselte Marktwirtschaft nicht unbedingt automatisch das Wohl aller generiert." Was genau haben Sie gegen den freien Markt?

Maurer: Als einziges Ordnungsprinzip ist er letztlich ein totalitäres Modell. Der Markt wird neuerdings immer in naturwissenschaftlichen, naturgesetzlichen Metaphern verhandelt. Das ist eines der sichersten Anzeichen für totalitäre Strömungen, ob Sozialismus, Rassismus, Kommunismus oder jetzt eben der Markt. Der Kampf um die geistige Hegemonie war lange im linken Lager daheim ...

STANDARD: ... und versteckt sich jetzt wo?

Maurer: Das ist das Problem. Vom Pepi Cap (SPÖ-Klubobmann, Anm.) erwarte ich mir persönlich jetzt auch nicht die Lösung der anstehenden Probleme einer hoch entwickelten Industriegesellschaft.

STANDARD: Von wem dann?

Maurer: Ja, das Genie, das das alles löst, gibt es selbstverständlich nicht. Stephen Hawking, der ja einer der Gescheitesten ist, hat im Internet versucht, globale Intelligenz zu bündeln und bat um Zuschriften: Jeder der glaubt, irgendein Konzept zu haben, wie man die großen anstehenden Katastrophenprobleme der nächsten 50 Jahre theoretisch lö- sen könnte, möge ihm schreiben, er werde das alles lesen.

STANDARD: Was haben Sie ihm geschrieben?

Maurer: Ich gar nichts, aber viele andere. Und vor ein paar Monaten hat Hawking die Frage, was man tun soll, damit es nicht zur Katastrophe kommt, beantwortet. Mit einem Satz: "I don't know." Das hätte ich ihm auch sagen können.

STANDARD: Was machen Sie denn eigentlich mit Ihrem Geld? Ich nehme nicht an, dass Sie es in Aktien oder Fonds investieren.

Maurer: Ich hab es immer wieder geschafft, doch nicht reich zu werden; aber mir geht's gut. Und ich pflege ein paar Wohllebenszüge. Ich sammle Wein. Also, ich habe einen Weinkeller.

STANDARD: Womit wir bei SPÖ-Chef Gusenbauer wären. Vor ein paar Jahren haben Sie die SPÖ mit dem Pandabären verglichen, der vom Aussterben bedroht sei. Geirrt?

Maurer: Ich war überrascht. Gusenbauer hat Langstrecken-Steherqualitäten.

STANDARD: Sie veräppeln überwuzelte Altlinke, aber auch Bobos. Kennen Sie Gusenbauer? wo ordnen Sie ihn denn ein?

Maurer: Für einen richtigen Bobo fehlt ihm die Sozialisierung, dieses Möchtegern-Boheme-Flair. Eigentlich müsste man für Gusenbauer ein neues Lifestyle-Etikett schaffen: exfriedensbewegt, aus einer Zeit stammend, in der es gereicht hat, sich die Haare wachsen zu lassen; den Rest hat man sich bei den großen Sangria-Festln der SJ (Sozialistische Jugend, Anm.) angeeignet. Heute sind diese Leute super etabliert und wundern sich wahrscheinlich manchmal selber über ihre Seidenkrawatten. Und ja, ich kenne Gusenbauer, bin beim Weinverkosten ein, zwei Mal neben ihm gestanden. Da hat er einen Ehrgeiz und eine Rhetorik an den Tag gelegt, denen ich nicht nacheifere.

STANDARD: Ein Weinstreber?

Maurer: Er wirkt immer, als hätte er Angst, dass jetzt wer kommt, der ihn prüft, und er muss sehr gut vorbereitet sein.

STANDARD: Stichwort Vorbereitung. Sie sind ja auch Buchkritiker im ORF, haben Sie inzwischen Elfriede Jelineks "Lust", die Sie laut früheren Auskünften verweigert haben, gelesen?

Maurer: Nein, aber ich hab's noch immer vor. Die früheren Werke der Jelinek mochte ich ja: ihre sprudelnde Sprachmächtigkeit, gepaart mit dem klirrend-kalten Blick, der sehr komisch sein kann, weil Grausamkeit und Witz eng miteinander verwandt sind - wobei das just schief ging, als sie eine Komödie schreiben wollte.

STANDARD: Die "Raststätte"? War doch großartig in der Burg.

Maurer: Interessant, mir wurde davon abgeraten. Ich habe sie in der radikal-dekonstruktivistischen Frank-Castorf-Bearbeitung in Mühlheim gesehen, da war sie ziemlich ausgebanlt (entbeint, Anm.).

STANDARD: Der Literatur-Nobelpreis für Jelinek und heuer für Pamuk: gerechtfertigt?

Maurer: Wer den Literatur-Nobelpreis kriegt, ist mir ein bisserl fast so egal, wie wer in der Skirangliste führt.

STANDARD: Ganz etwas Wichtiges noch: Sie sind gegen Zufriedenheit. Warum bloß?

Maurer: Zufriedenheit macht ein bisserl doof. Weil man so satt wird, wenn es einem da gefällt, wo man grade sitzt.

STANDARD: Klingt doch ganz angenehm.

Maurer: Ja, aber wenn ich dann das zufriedenste Lampl in der Herde bin, bin ich wahrscheinlich auch das erste, das gegessen wird, wenn der Wolf vorbeischaut.

STANDARD: Letzte Frage: Worum geht's im Leben?

Maurer: Ui, da müsst ich jetzt weiter ausholen.

STANDARD: Tun Sie's, ein bisserl geht's noch.

Maurer: Ich für mich will nicht mehr Schaden hier anrichten als unbedingt nötig. Lassen Sie mich es so sagen wie damals bei den Pfadfindern: "Verlassen Sie den Lagerplatz so, wie Sie ihn vorgefunden haben." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9./10.12.2006)