Berlin - Verdächtig lange war es gut gegangen: Im ersten Koalitionsjahr hatten die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier erfolgreich den Vermutungen getrotzt, die alten außenpolitischen Konflikte zwischen Union und SPD würden in der Zwangsgemeinschaft große Koalition schnell aufbrechen. Am Wochenende war es dann doch soweit - ausgerechnet drei Wochen vor dem Start der deutschen EU-Ratspräsidentschaft.

Testfrage

Vor allem die heiß umstrittene Frage eines türkischen Beitritts zur Europäischen Union (EU) galt als Testfrage. Bis zum Wochenende blieb der Konflikt unter der Oberfläche, dann brachte ihn Steinmeier ans Licht. Via "Spiegel" warnte er die Kanzlerin davor, kurz vor den entscheidenden Beratungen der EU über weitere Beitrittsverhandlungen den Druck auf die Türkei zu sehr zu erhöhen. Prompt verwahrte sich Unions-Fraktionschef Volker Kauder gegen ungebetene Ratschläge. Hinter dem konkreten Fall stehen unterschiedliche Positionen der konkurrierenden Partner Union und SPD. Merkel und Steinmeier als ihre außenpolitischen Exponenten wollen nun eine Belastung der deutschen EU-Führung durch offene Konflikte vermeiden.

Ausgetragene Rollenkonflikte

In Merkels Umfeld wurde darauf verwiesen, dass die Kanzlerin stets genau darauf geachtet habe, Steinmeiers Spielräume nicht zu beschneiden. Offen ausgetragene Rollenkonflikte, wie es sie zwischen ihren Vorgängern Gerhard Schröder und Joschka Fischer gegeben habe, wolle Merkel auf jeden Fall verhindern. "Sie will keinen Streit darüber, wer Koch und wer Kellner ist", sagt ein enger Vertrauter. "Sie weiß, das Thema ist sehr sensibel für das Koalitionsklima. Steinmeier ist bislang mit Samthandschuhen angefasst worden." Nun sehe es jedoch so aus, als wolle sich der Außenminister mehr ins Rampenlicht rücken. "Da muss man dann Grenzen ziehen."

Türkei-Thema wird zu politischem Spagat

In der Türkei-Politik muss die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende einen Spagat vollführen. Einerseits erwartet die Union ein harte Haltung gegenüber der Türkei, weil sie eine EU-Mitgliedschaft für das Land strikt ablehnt. Andererseits muss Merkel als Regierungschefin auf dem von der EU eingeschlagenen Weg bleiben. Bei den Außenpolitikern im Unionslager heißt es, Steinmeier liege inhaltlich nicht weit weg von Merkel. Er sei wie die Kanzlerin für einen Zwischenbericht zu den Beitrittsgesprächen, halte aber eine Befassung der EU-Staats- und Regierungschefs noch für problematisch.

Steinmeier hat allen Bekenntnissen zur Gemeinsamkeit mit Merkel zum Trotz immer wieder ein eigenes Profil gepflegt; die Türkei-Debatte ist das jüngste Beispiel. Schon vor dem direkten Widerspruch zu Merkel am Wochenende hatte er erkennen lassen, dass er ihre Forderung nach einer zusätzlichen Überprüfung des türkischen Wohlverhaltens für kontraproduktiven Druck hielt. Damit will er nicht nur trotzige Überreaktionen der Türkei verhindern. Er setzt damit auch die von der Union heftig kritisierte Politik der alten Regierung unter seinem damaligen Chef Gerhard Schröder fort. Steinmeier soll dies als wertvolles Erbe bewirtschaften, damit Merkel die außenpolitischen Meriten nicht alleine erntet.

Streben nach Eigenständigkeit

Besonders zeigt sich das Streben nach Eigenständigkeit, wenn er immer wieder internationale Energiefragen zum Gegenstand deutscher Außenpolitik macht. Bei keiner Reise versäumt er es, das Thema anzusprechen. Die Einigung einer Energiestrategie der EU beim Gipfel im März soll das konkrete Ergebnis der Bemühungen sein. In dieser Frage setzt er sich zwar nicht von Merkel ab, betont aber sein Profil als Wirtschaftsaußenminister. Schon bei seiner Rede zum Amtsantritt hatte er seine Diplomaten mit der Forderung verschreckt, sie sollten Außenpolitik künftig stärker auch als Förderung deutscher Wirtschaftsinteressen verstehen.

Natürlich bemühen sich Merkel und Steinmeier demonstrativ darum, dem Eindruck von Meinungsverschiedenheiten entgegen zu treten. Ein möglichst geschlossenes Auftreten halten beide für zentral, um die deutsche Doppelpräsidentschaft in EU und G-8 zum Erfolg zu machen. Wenn Differenzen wie in der Türkei-Frage dennoch deutlich werden, spielen ihre Spindoktoren sie entweder herunter, oder erklären sie zu einer klugen "Good cop, bad cop-Strategie", mit der man etwa sowohl die Türkei, als auch Griechenland und Zypern gewogen halten könne. (Reuters)