Niemand hat die osteuropäischen Länder liebevoller und kenntnisreicher beschrieben als der polnische Reiseschriftsteller Andrzej Stasiuk. Aber selbst er ging in die Knie, als er sich Transnistrien genauer anschaute. Die Grenzposten "bewachten dort eigentlich den reinen Raum, die Leere", schreibt Stasiuk: "Sie konnten Vögel abschrecken, Bauern mit Reisigbündeln kontrollieren, heubeladene Wagen abfertigen und verirrte Tiere zurückbringen. . . . Stellenweise erinnerte dieses Land an eine Filmkulisse."

Gedreht wird dort seit Jahren eine Tragikomödie. Ihr Regisseur heißt Igor Smirnow. Der Mann mit dem weißen Ziegenbart und den buschigen schwarzen Augenbrauen saß im Obersten Sowjet der Sowjetrepublik Moldawien, als es 1989 zu brodeln begann. Stalin hatte das schmale Transnistrien der heutigen Republik Moldau angeheftet. Smirnow aber sah es an der Zeit, das vorwiegend von Russen und Ukrainern bewohnte Gebiet vom rumänischsprachigen Moldau zu trennen.

Smirnow war nicht nur politisch gut positioniert. 1988, als er eben erst aus Russland an den Dnjestr kam, war er auch Direktor des Großkombinats Elektromasch geworden. Nach einem kurzen Krieg rief der mittlerweile 65-Jährige Transnistrien 1992 zum Staat und sich selbst zu dessen Präsidenten aus.

Die Sowjetzeit wollte er fortführen, mit Menschenrechten nimmt er es nicht so genau. Und dass die Welt vom 3567 Quadratkilometer großen "Staat", in dem 80 Prozent der 500.000 Einwohner unter der Armutsgrenze leben, keine Kenntnis nimmt, kümmert Smirnow nicht. In Russland, dem er sich anschließen will, hat Smirnow einen starken Verbündeten.

Dass der Kreml weit ist, macht dem gelernten Dreher nichts aus. Er ist gewohnt, weit ab vom Zentrum zu leben: Schon seine Kindheit verbrachte er in Petropawlowsk am Pazifik. Mit dem Aufstieg des Vaters innerhalb der KPdSU übersiedelte man in die Ukraine. Nach einem Jahr im Gulag - der Vater soll in einer Kolchose Geld und Material veruntreut haben - zieht die Familie an den Ural.

Dass es lukrativer sein kann, in Tiraspol der erste als in Moskau einer unter vielen zu sein, hat Smirnow früh erkannt. Am Dnjestr-Ufer, einem Dorado der organisierten Kriminalität und einem Großlager russischer Munition, kontrolliert er mit seiner Familie die Geldflüsse. Die sind nicht klein, denn es fügte sich, dass ein Drittel der moldauischen Industrie in Transnistrien liegt. Heute wird großflächig geschmuggelt: Waffen, Drogen, Alkohol und Treibstoff. Was legal hinausgeht, weiß der Präsident auch: Smirnow besitzt die einzige Ausfuhrlizenz im Land, einer seiner Söhne leitet die Zollbehörde. Am Sonntag trat Smirnow senior seine vierte Amtszeit an.(Eduard Steiner/DER STANDARD, Printausgabe, 12.12.2006)