Der vorgelegte Entwurf des Volksbefragungstexts hat zu Recht Zweifel bei Verfassungsexperten (zum Beispiel bei den Professoren Mayer, Öhlinger und Welan) hervorgerufen. Dass aber der Bundespräsident eine inhaltlich rechtswidrige Volksbefragung stoppen könnte, verkennt den Sinn der Aufgabenteilung des Bundesverfassungsgesetzes (B-VG).

Anders als nach der Weimarer Reichsverfassung, ist nämlich nicht der Bundespräsident, sondern nur der Verfassungsgerichtshof zum Hüter der Verfassung berufen. Daher kommt auch nur diesem Höchstgericht das Recht zu, infolge einer Anfechtung das gesamte Verfahren der Volksbefragung nach dessen Abschluss, also erst nach Kundmachung des Ergebnisses (!), aufgrund behaupteter Rechtswidrigkeiten in Prüfung zu ziehen.

Klestil muss die Befragung anordnen ...,

Die Anfechtung, die binnen vier Wochen nach der Verlautbarung einzubringen ist, richtet sich gegen die Ergebnis-Feststellung der Bundeswahlbehörde und muss von einer Mindestzahl Stimmberechtigter pro Landeswahlkreis mittels eigenhändiger Unterschrift (zum Beispiel mindestens 100 in Vorarlberg oder Burgenland, mindestens 500 in Wien oder Niederösterreich), unterstützt werden. Wobei es nach der Rechtsprechung für die Zulässigkeit ausreicht, wenn auch nur in einem Wahlkreis die geforderte Zahl erreicht wird.

Wenn der - hoffentlich noch in Details modifizierte, meines Erachtens aber insgesamt unsanierbare - Text das von der Bundesregierung vorgesehene Verfahren durchlaufen hat, dann muss der Bundespräsident, ob er will oder nicht, die Volksbefragung anordnen.

Seine Rolle als anordnendes Organ unterscheidet sich hier nicht von jener im Zuge der EU-Volksabstimmung vom Juni 1994, als zwar gleichfalls Bedenken gegen die Textierung und den Inhalt des vorgelegten B-VG-Entwurfs bestanden, die aber erst gemeinsam mit der Anfechtung des Verfahrens beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) bekämpft werden konnten.

Während damals der VfGH die Auffassung vertrat, der Gesetzesentwurf sei inhaltlich nicht wie ein kundgemachtes Gesetz überprüfbar, und die für Normalbürger unverständliche Fragestellung daher auch nicht geprüft wurde, gibt die aktuelle Rechtsprechung Anlass zur Hoffnung, dass bei Volksbefragungen auch irreführende und suggestive Fragen sowie solche, die verfassungsgemäß gar nicht erst gestellt werden dürften, vom VfGH geprüft werden können.

..., ob er will oder nicht

Auf welchem Weg dem Gerichtshof diese Prüfung ermöglicht werden kann, ist allerdings umstritten. Während der zitierte Anlassfall vom Juni 2000 eine mit doppelter Verneinung geradezu hanebüchen verordnete Volksbefragung aufgrund des steiermärkischen Landesrechts betraf, gibt es - weniger verwunderlich - keine Judikatur zu bundesweiten Volksbefragungen.

Die in diversen Kommentaren (etwa in der Presse vom 6. Juli) nahe gelegten Ableitungen aus dem aktuellen Erkenntnis sind daher in zweifacher Hinsicht hypothetischer Natur: Es ist zwar zutreffend, dass die nach einem entsprechenden Beschluss der Regierungsparteien rechtlich unumgängliche Anordnung der Volksbefragung durch den Bundespräsidenten als Verordnung zu qualifizieren ist.

Ob aber diese Verordnung, für die mangels Prüfungskompetenz des Präsidenten die inhaltliche Gestaltung der Fragen gar nicht erheblich ist, bereits vor der Befragung beim VfGH angefochten werden könnte, muss auch verfassungsrechtlich infrage gestellt werden.

Denn damit wäre das bisher einheitlich verstandene Rechtsschutzsystem bei Wahlen und direktdemokratischen Instrumenten durchbrochen, das - bei allen rechtspolitischen Mängeln - immer nur eine Anfechtung nach Abhaltung der betreffenden Veranstaltung kennt.

Sollte also künftig die Bekämpfung der Ausschreibung von Nationalratswahlen zum Beispiel wegen rechtswidriger Zulassung einer Wahlpartei oder einer umstrittenen Partei-Bezeichnung noch vor ihrer Durchführung zulässig sein? Entscheidet dann künftig, ähnlich wie etwa in der Schweiz, ein Gericht im Vorfeld von Wahlen, und hängt es dann am Ende von diesem ab, ob und wann das Wahlvolk zu den Urnen schreitet? Ich meine, dass das keine gute Idee wäre.

Ergänzung statt Rollentausch

Im Übrigen: So fragwürdig es erscheint, den Bundespräsidenten ex cathedra zu einem Vorprüfungsorgan (direkt-) demokratischer Instrumente zu erheben, so sinnvoll ist es gleichzeitig, auch bei der Kontrolle ex post die Kirche im Dorf und dem Verfassungsgericht seine bewährte Rolle als nachprüfendes Organ zu lassen.

Eine rechtspolitisch durchaus sinnvolle Neuerung hingegen wäre es, würde man eine unabhängige Behörde schaffen oder eine bestehende (zum Beispiel die Bundeswahlbehörde) aufwerten und dazu ermächtigen, rechtswidrige Manipulationen - so auch die Fragestellung bei Volksbefragungen und Abstimmungen, oder auch den Einsatz bestimmter Propagandamittel im Vorfeld von Wahlen und Abstimmungen - zu überprüfen und zu ahnden.

Gegen die Entscheidungen dieser Behörde Einspruch zu erheben, wäre dann im Zuge einer Wahl- oder Abstimmungsanfechtung der VfGH berufen.

Gerhard Strejcek ist Universitätsdozent am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht in Wien.