Straßburg - Einen "neuen Konsens" zur EU-Erweiterung hat der für diesen Bereich zuständige Kommissar Olli Rehn verlangt. Man müsse die derzeit viel diskutierte Aufnahmefähigkeit mit den strategischen Interessen der Union zusammenführen, sagte Rehn am Mittwoch bei einer Debatte zur künftigen Erweiterungsstrategie im EU-Parlament in Straßburg.

"Erosion der Glaubwürdigkeit"

Diese Bereiche seien "zwei Seiten derselben Medaille" und ließen sich nicht getrennt voneinander betrachten, sonst "riskieren wir Verwirrung bei unseren Bürgern und eine Erosion der Glaubwürdigkeit in den Kandidaten-Ländern".

Rehn betonte die Wichtigkeit, dass die Institutionen der EU auch nach künftigen Erweiterungen funktionstüchtig seien, wie dies die beiden im Europa-Parlament diskutierten Berichte von Elmar Brok und Alexander Stubb zur Erweiterungsstrategie hervorstreichen. Zugleich müsse man jedoch die "strategische Aufgabe der Erweiterungen" weiterverfolgen.

"Künstliche Hürden"

Rehn warnte davor, neuen Beitrittskandidaten "künstliche Hürden" in den Weg zu legen. Bei der von der Kommission angekündigten "Verbesserung des Beitrittsprozesses", bei der strikte Kriterien und ein früheres Angehen schwieriger Kapitel im Mittelpunkt stehen sollen, dürfe "nichts Überkompliziertes" entstehen. "Wir müssen klare Regeln haben, die von unseren eigenen Bürgern und von den betroffenen Ländern verstanden werden." Nach Ansicht Rehns könne die EU die Erweiterung mit der internen Vertiefung verbinden. Dazu sei eine institutionelle Reform vorgesehen, deren erste Schritte im März in Berlin getätigt werden.

Die institutionelle Reform stand im Zentrum der Wortmeldungen der EU-Parlamentarier. "Keine zukünftige Erweiterung ohne Verfassungsvertrag", sagte der spanische EVP-Abgeordnete Inigo Méndez de Vigo, und der österreichische SP-Europaabgeordnete Hannes Swoboda ergänzte: "Es muss ja nicht genau die Verfassung von jetzt sein, aber die wesentlichen Elemente müssen umgesetzt werden". Die Erweiterung "ist etwas Positives, kein Zweifel. Jedoch müssen wir unser Haus zuerst einmal in Ordnung bringen, bevor wir Leute einladen", so Mendez de Vigo.

"Gemeinsame Stimme finden"

"Wir können nicht für alle sprechen, wenn wir nicht die gemeinsame Stimme finden", sagte Swoboda, der "fundamentale Reformen" bei den Institutionen und der Finanzierung verlangte. Diese Reformen seien "nicht als Barriere gegen, sondern als Voraussetzung für künftige Erweiterungen" zu sehen.

Mit der "heutigen institutionellen Verfassung können wir nicht weiterkommen", sagte auch Brok zu Beginn der Debatte. Die EU müsse sich entscheiden, ob sie ihre politische Handlungsfähigkeit bewahren oder "als wirtschaftliches Projekt dahintreiben" wolle. Sowohl Brok als auch Swoboda betonten die Notwendigkeit von Alternativen zur Vollmitgliedschaft. Man müsse etwa bei der Nachbarschaftspolitik oder multilateralen Zusammenschlüssen (wie der von Swoboda vorgeschlagenen EU-Schwarzmeer-Union) "mehr Fantasie entwickeln", damit "die Völker jetzt schon etwas haben" und nicht nur auf eine Vollmitgliedschaft hoffen müssen, so Brok. (APA)