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Der ehemalige Schachweltmeister Garri Kasparow (re.) während der Durchsuchung des Büros seiner "Vereinigten Bürgerfront" durch die Polizei in Moskau.

Foto: Reuters/Denisow
Die russischen Liberalen taumeln am Rande der Bedeutungslosigkeit. Dennoch werden sie von den Machthabern schikaniert. Zu den Betroffenen zählt auch der ehemalige Schachweltmeister Garri Kasparow.

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Wer untereinander so uneinig ist wie die traditionellen liberalen Parteien in Russland, schafft es auch ohne Hürden des Kreml in die Bedeutungslosigkeit. Noch ist sie relativ, aber selbst aus den eigenen Reihen gibt es Warnungen, dass sie in eine totale münden kann. Bescheiden ist auch die Nachfrage - 15 Jahre nach dem Ende der Sowjetunion liegt sie unterschiedlichen Umfragen zufolge bei 15 bis 25 Prozent. Dass der Kreml soeben dabei ist, selbst eine liberale Partei aus dem Boden zu stampfen, zeugt von einer nervösen Staatsmacht, die auch in diesem Segment nichts dem Zufall überlassen will.

Nicht anders lässt sich auch erklären, dass die verstreuten liberalen Unternehmungen im Keim erstickt und deren Exponenten Drohsignalen ausgesetzt werden. Zuletzt dieser Tage. Morgen, Samstag, nämlich veranstaltet das politische Projekt "Das andere Russland" in Moskau seine erste Straßenaktion, genannt "Aufmarsch der Dissidenten". Das Parteiprojekt wurde heuer von Antikorruptionsforscher Georgi Satarow und Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow gegründet. Prominentester Teilnehmer neben Kasparow ist Expremier Michail Kasjanow.

Im Vorfeld gewarnt

Nicht genug damit, dass der Aufmarsch nicht genehmigt ist, wurden die Anführer im Vorfeld gewarnt: Am 12. Dezember wurde Kasparows Parteibüro zwei Stunden durchsucht. Die Polizei habe behauptet, "extremistische Literatur" befinde sich im Büro, sagten Büromitarbeiter. Kasparow bringt die Aktion direkt mit dem Aufmarsch in Verbindung. Im Zusammenhang mit der Kundgebung sagte Kasparow auch seine Teilnahme an der gestrigen Gedenklesung für die im Oktober ermordete Journalistin Anna Politkowskaja in Wien ab.

Ein besonderer Dorn im Auge des Kremls ist "Das andere Russland", seit es im Juli knapp vor dem G-8-Gipfel in St. Petersburg eine Gegenkonferenz veranstaltete, auf der man ein ungeschöntes Bild der "realen russischen Probleme" liefern wollte. Würden Vertreter ausländischer Staaten teilnehmen, verstünde Russland dies als "unfreundliche Geste", hatte Putins Berater Igor Schuwalow damals gewarnt. Der britische Botschafter ging hin. Seither wird er eigenen Worten zufolge von der Kreml-nahen Jugendorganisation "Naschi" (Die Unsrigen) auf Schritt und Tritt belästigt. Dieser Tage protestierte London offiziell beim russischen Außenministerium. (Eduard Steiner aus Moskau, DER STANDARD, Printausgabe 15.12.2006)