In den letzten Tagen wurden diesem Land zwei Wohltaten erwiesen, die man gar nicht hoch genug schätzen kann. Die eine stiftete der Bundespräsident, als er den Vorsitzenden der beiden großen Parteien den Termin 11. Jänner als Tag einer Angelobung ihrer Koalition abrang. Wobei die Wohltat weniger in der Aussicht auf eine ordentliche Regierung nach dreieinhalbmonatigem Interregnum besteht - die ist damit weder fix, noch ist sie in dieser Form das Objekt heißester Wählersehnsucht -, sondern darin, dass damit der Horizont am liebsten ins Endlose hinaustaktierter Parteiengespräche - so oder so - begrenzt ist. Hoffen wir 's.

Die andere Wohltat von hoffentlich über den Jännertermin hinausreichender Wirkung verdanken wir dem Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes. Mit einer Deutlichkeit, zu der sich in der Vergangenheit nur wenige Politikerinnen und Politiker aufraffen konnten, hat er auf den systematischen Bruch von Recht und Verfassung hingewiesen, mit dem in Österreich auch Politik gemacht werden kann, wobei es hier zu Lande inzwischen überflüssig ist, extra auszusprechen, wer gemeint sein könnte, wenn als Begleitung schmückende Worte wie "Intoleranz und Primitivität" ins Spiel kommen.

In den letzten Jahren, so Karl Korinek, wurden in Einzelfällen Verfassung und das Recht bewusst gebrochen. Sein erster Hinweis auf diese Zustände war es nicht, aber wenn seine Mahnungen bisher folgenlos blieben, hatte das einen triftigen Grund: Der angesprochene Rechtsbrecher hat die Regierung Wolfgang Schüssels ermöglicht und sie bis jetzt am Leben erhalten, weshalb sich das Vorhaben seiner Zähmung - zur Beruhigung von Kritikern mit höheren zivilisatorischen Standards unterschwellig angekündigt - leider nie umsetzen ließ. So wichtig war die Verfassung ja auch wieder nicht.

Wie man hört, sollen sich die Vertreter von SPÖ und ÖVP in den Gesprächen zur Verwaltungsreform darauf geeinigt haben, mit einer Verfassungsbestimmung die Umsetzung des Staatsvertrages und der Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes in der Ortstafelfrage sicherzustellen. Das verrät eine gewisse Konsequenz, denn was hätte es für einen Eindruck gemacht, eine Verwaltungsreform zur Raison d'être einer Koalition zu erklären, die weiterhin zusieht, wie in Kärnten die Verfassung mit Füßen getreten wird?

Auf der anderen Seite gibt es schon zu denken, wenn die Einhaltung der Verfassung von der Regierungsform abhängt - um nicht zu sagen, wenn sie als Kleingeld im Koalitionspoker eingesetzt wird.

Wäre es Schüssel mit der Verfassung so ernst gewesen, wie es für einen Bundeskanzler der Republik selbstverständlich sein sollte - für die Umsetzung des Staatsvertrages und der Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes hätte er auch eine SPÖ in der Opposition gewinnen können. Das Risiko, dafür die Krücke seiner Regierung zu verlieren, wollte er für dieses hehre Ziel freilich nicht eingehen.

In einem Land, in dem man nicht nur für eine Änderung der Verfassung eine Zweidrittelmehrheit benötigt, sondern auch für die Gewähr ihrer Einhaltung, erscheint somit eine große Koalition vor allem als eine große Kulturleistung, die weiterer Beschönigungen, etwa des Hinweises auf ihre Stabilität, gar nicht mehr bedarf.

Des Letzteren schon gar nicht, müsste man dem Projekt im Hinblick auf die schon 1999 geübte Festigkeit des Noch-Kanzlers, zu seinem Wort zu stehen (als Dritter in Opposition, nicht mit Jörg Haider!), die Stabilität eines Pulverfasses mit glosender Lunte zubilligen. Doch diesmal soll offen- bar Resozialisierung ihre Chance erhalten, und wie solche Experimente ausgehen, weiß man ja nie. (Günter Traxler/DER STANDARD, Printausgabe, 15.12.2006)