Man kennt das zur Genüge aus der Geschichte: Wenn in einem Konflikt beide Seiten von einer falschen Annahme ausgehen, kommt es zu heillosen Verwicklungen. So auch in diesem Fall: Die Nato dachte, Milosevic würde nach dem ersten Bombenteppich nachgeben, und Milosevic war der Meinung, die Nato würde weiter verhandeln statt bombardieren. Das Ergebnis ist ein Krieg der Nato gegen Milosevic, den sie wohl oder übel zu Ende führen muß.

In dieser Situation genügt es allerdings nicht, blind darauf zu vertrauen, daß die Luftangriffe Milosevic zum Umdenken bringen werden. Denn so notwendig und unvermeidlich die Nato-Intervention war: Bomben alleine werden weder die jugoslawischen Truppen aus dem Kosovo vertreiben, noch die Hunderttausenden Flüchtlinge in ihre Häuser zurückbringen. Alles, was man mit dieser Strategie erreichen kann, ist, Milosevic an den Verhandlungstisch zurückzubomben, und genau dort wollte er ja hin - sobald der letzte Kosovo-Albaner die vom Unglück verfolgte Provinz verlassen hat.

Gleichzeitig ist klar: Eine Niederlage kann sich die Allianz nicht leisten. Damit würde sie nicht nur eine weitere Destabilisierung am Balkan riskieren, sondern auch den eigenen Untergang oder wenigstens den Abstieg in die Bedeutungslosigkeit. Um den Krieg aber zu gewinnen, ist auf seiten der Nato-Führung mehr Entschlossenheit und Kreativität vonnöten, wovon bis jetzt nur wenig zu bemerken war.

Eine Zustimmung aller 19 Mitglieder zum Einsatz von Bodentruppen erscheint unwahrscheinlich, und die Luftangriffe werden sich bald eimal erschöpft haben, denn so viele Ziele gibt es nicht mehr, vor allem wenn der Feind verstreut agiert und nicht bereit ist, sich auf dem Boden oder in der Luft zu formieren. Es bedarf also noch anderer Mittel, um Milosevic unter Druck zu setzen:

Osterweiterung vorantreiben

Beispielsweise könnte man mit der Umsetzung des zweiten Teils des Dayton-Abkommens beginnen und den vertriebenen Menschen in Bosnien, einschließlich der Serben, unter Nato-Geleit die Rückkehr in ihre angestammte Heimat ermöglichen. Oder man beschleunigt die Arbeit des Kriegsverbrechertribunals in Den Haag und klagt Milosevic als Kriegsverbrecher an. Solche Maßnahmen wären ein Signal dafür, daß man die ethnischen Säuberungen nicht akzeptiert und daß die dafür Verantwortlichen früher oder später vor Gericht gestellt werden.

Eine andere Möglichkeit wäre eine Verschärfung der Sanktionen gegen Jugoslawien, indem man Ländern wie Bulgarien und Rumänien, die unmittelbar von der politischen und wirtschaftlichen Zerrüttung der Region betroffen sind, Sicherheitsgarantien gibt und ihnen eine baldige Aufnahme in die Nato in Aussicht stellt.

Ein gewaltsam erzwungener Rückzug der serbischen Polizei- und Armee-Einheiten und die Rückkehr der Flüchtlinge würde die Probleme im Kosovo nicht beenden. Im Gegenteil: Das absehbare Durcheinander von ethnischen Enklaven, Protektoraten und quasiunabhängigen Staaten ist wie geschaffen für ein Szenario ähnlich dem in Afghanistan, wo sich ethnische und religiöse Gruppen gegenseitig abschlachten, seit die Sowjets das Land verlassen haben. Die relative Stabilität der Nachbarländer wäre ernstlich in Gefahr.

Es ist nicht zu früh, über die Ordnung nach dem Krieg am Balkan nachzudenken. Eine zentrale Voraussetzung ist die massive Zusammenarbeit der Nato mit den Konfliktparteien und anderen Ländern unter Einbeziehung Rußlands. Man muß die Infrastruktur und die institutionellen Grundlagen der Demokratie wieder aufbauen - nicht nur in Bosnien und im Kosovo sondern auch in Serbien. Das ist nur möglich, wenn die Ursachen des Konflikts, vor allem der auf Völkermord ausgerichtete serbische Nationalismus, ausgeschaltet werden. Jeder Kompromiß mit Slobodan Milosevic, dem Nachlaßverwalter des Totalitarismus, würde nur zu einer weiteren Runde des mörderischen Konflikts führen.

Vor uns liegt ein langer, steiniger Weg. Um ihn erfolgreich zurückzulegen, braucht es sowohl die entschlossene Führung der USA als auch den Mut und die Einigkeit aller Nato-Staaten. Das gilt vor allem für die drei neuen Mitglieder, an deren Verhalten ablesbar sein wird, ob der Erweiterungsprozeß der Allianz Sinn macht und das neue Strategiekonzept zukunftsfähig ist.

Wenn Polen, Ungarn und Tschechien sich nicht als Nettozahler für die Sicherheit und Stabilit in der Region erweisen, wird die Nato das Interesse an einer Erweiterung des Bündnisses verlieren.

Eine Atmosphäre der Enttäuschung und Frustration in Zentral- und Osteuropa könnte nur zu leicht dazu führen, daß sich in der Nato eine gewisse Blockmentalität gegenüber den out of area Überlegungen - einer generellen Ausweitung der Aufgaben der Nato - durchsetzt. Im Zeitalter der Langstreckenraketen, des staatlich-unterstützten Terrors und des von kaltblütigen Politikern geschürten ethnischen Hasses sowie von Massendeportationen würde diese Politik des Isolationismus mit ziemlicher Sicherheit zu einer Verschärfung der Gewalt führen.

Michael Zantovsky, während der samtenen Revolution Sprecher des Bürgerforums, danach Mitarbeiter von Václav Havel und bis 1996 Botschafter Tschechiens in Washington, ist Vorsitzender des Außenpolitischen Senats-Ausschusses im tschechischen Parlament.