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"Wüssten unsere Ahnen, was aus dem angeblich schönsten Fest des Jahres geworden ist, würden sie sich im Grab umdrehen." - Weihnachtsmänner bei der Rauchpause.

Foto: Reuters/Finbarr O'Reilly
Irgendjemand will uns das Rauchen verbieten und den Genuss alkoholischer Getränke vermiesen. Wer das ist, bleibt - wie in Kafkas "Prozess" - letztlich unklar. Es handelt sich um anonyme Kommissionen und Propheten, die offenbar eine innere Sendung verspüren.

Wackere Publizisten nehmen sich dieses Themas an und fordern, dass wir alles Erdenkliche tun oder unterlassen sollten, um möglichst alt zu werden um schließlich möglichst gesund und durchtrainiert zu sterben.

Dabei lese ich in derselben Zeitung, dass andere Kommissionen und Propheten zum Schluss gekommen sind, dass das Gesundheitswesen und die Altersversorgung längst unfinanzierbar geworden sind. Das bedeutet, dass wir uns schon jetzt unsere derzeitige Lebenserwartung - im doppelten Wortsinn - nicht mehr leisten können.

Das meint in aller Konsequenz, dass ich meine Lebenserwartung durch strenge Selbstzucht zu verlängern habe, um ein paar Jahre mehr Feinstaub zu inhalieren und geduldig zu warten, bis das Ozonloch endlich so groß ist, dass mich ein gütiger Hautkrebs von meinem irdischen Dasein in einem unbeheizten Raum von meinen Bank-Krediten erlöst, mit denen ich mein Altenteil und die Suppenwürfel finanziert habe.

Ich muss mir - wenn es nach dem Willen der Kommissionen und Propheten geht - bis dahin völlig nüchtern die Zeit damit vertreiben, in dem ich Radio höre, um zu erfahren, dass wieder ein paar hundert Tonnen Tomaten vernichtet worden sind, um fünf Sekunden später zu hören, dass alle fünf Sekunden ein Kind an Hunger stirbt.

Im Namen des Gesetzes

Vielleicht wird mir auch noch die Zeit bleiben, mich daran zu erinnern, worüber ich heute nachdenke.

Wer von den Kommissionsmitgliedern und Propheten denkt eigentlich beim Betanken seiner Limousine oder beim Abflug mit einem schweren Jet daran, dass er mittels Benzin und Kerosin nicht nur die Existenz unserer Nachfahren vernichtet, sondern auch Kriege finanziert? An der Gier nach der Verwertung fossiler Brennstoffe und ihrem gedankenlosen Verbrauch starben und sterben vermutlich mehr Menschen als an Alkohol und Nikotin.

Mir ist diese abendländische Welt, diese durch und durch dekadente Gesellschaft nur mehr erträglich, wenn ich mit Freunden ein paar Flaschen besten Weines köpfe und in Schwaden feinen Rauches mich an eine Zeit erinnere, da noch von Demokratie, von der Freiheit der Entscheidung, von Eigenverantwortlichkeit und vom dialogischen Prinzip der Gesellschaft die Rede war.

Diese Erinnerung ist wenig tröstlich. Denn ich sehe schon an den Stammtischen der alten Wirtstuben - den holzvertäftelten, wo der Schiffboden knarrt - statt der Bauern mit Bier, Most, Wein, Pfeife und Zigaretten - Kommissionsmitglieder und Propheten sitzen, die Red Bull trinken und auf die Handwerker warten, welche das Lokal antiseptisch umdekorieren müssen, wie das Gesetz es befiehlt. (Günther Schatzdorfer/D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 16./17.12. 2006)