Zur Person
Werner Mülller ist Risikoforscher und Gentechnikexperte. Er brachte zahlreiche Untersuchungen und Studien zur Risikoabschätzung von gentechnisch veränderten Organismen für öffentliche Institutionen heraus und ist für Global 2000 tätig.

derStandard.at: Bei welchen Nahrungsmittelgruppen müssen wir mit gentechnisch veränderten Inhaltstoffen rechnen und welche Lebensmittel sind weniger betroffen?

Müller: Bei Tieren sind vor allem die Futtermittel gentechnisch verändert. Und da vor allem bei Hühnern. Sowohl das Geflügel, das wir essen, als auch die Eier. Da kommen wir mit großer Wahrscheinlichkeit indirekt mit Gentechnik in Berührung. Genauso ist es bei Schweinefleisch und im Milchbereich.

Im pflanzlichen Bereich gibt es eine Selbstverpflichtungserklärung des Handels, auf Druck der Umweltorganisationen. Diese listen keine kennzeichnungspflichtigen Produkte, die Gentechnik enthalten.

In kleinen asiatischen Läden kann man auch in Österreich laut AGES mit gentechnisch veränderten Produkten rechnen und im Ausland muss man eigentlich bei jeder Speise davon ausgehen.

derStandard.at: Allein in Österreich werden jährlich 600.000 Tonnen gentechnisch veränderte Futtermittel eingesetzt. Gibt es Langzeitstudien über die Auswirkungen auf die Tiere?

Müller: Nein, von der toxikologischen Seite gibt es nur Studien über 90 Tage. Chronische Toxizitätsstudien, oder sogenannte Langzeitstudien würden aber 24 Monate dauern. Das sind 730 Tage. Andere Zulassungsverfahren wie zum Beispiel Pestizide haben alle chronische toxikologische Studien und müssen über 24 Monaten getestet werden.

Diese Praxis ist extrem unüblich und in keinem anderen Bereich als der Gentechnik zu finden. Es wird nur die landwirtschaftliche Leistung untersucht, aber nicht Organe, wie Leber und Nieren mit Gewebeschnitten. Ob sich Gewebeveränderungen oder Veränderungen bei den Blutparametern ergeben.

derStandard.at: Die Amerikaner essen seit über zehn Jahren genveränderte Lebensmittel – gibt es Studien zu den Auswirkungen auf den menschlichen Organismus?

Müller: Da wird ja immer wieder gesagt: In den USA müsste schon längst etwas aufgefallen sein – Die Tabakindustrie war 90 Jahre lang erfolgreich damit zu behaupten, dass Lungenkrebs nichts mit dem Rauchen zu tun hat. Es hat 90 Jahre gebraucht, um wissenschaftlich statistisch signifikant und wasserdicht zu beweisen, dass Rauchen tatsächlich Lungenkrebs macht.

Das heißt, zehn Jahre sind extrem kurz und wir haben das Problem, dass wir nicht die Gruppe der "Raucher" und "Nichtraucher" haben. Kein Amerikaner weiß ob er gentechnisch veränderte Nahrung gegessen hat und wie viel.

derStandard.at: Fast alle Experten sind sich einig, dass man nicht abschätzen kann, wie sich genveränderte Produkte gesundheitlich auswirken. Haben wir es mit einem riesigen Feldversuch zu tun, wo sich heute tatsächlich noch nicht abschätzen lässt welche gesundheitlichen Folgen es geben wird?

Müller: In der nachträglichen Betrachtung haben wir keine guten Karten. Um epidemiologisch statistisch signifikante Daten zu haben, muss man viele Opfer haben. Das ist die Ironie des Ganzen.

Unser Ansatz ist deshalb nicht abwarten, sondern die Risikoabschätzung durch 24 Monaten Studien im Tierversuch. Mit Gewebe - und Reproduktionsuntersuchungen. Das wird momentan leider nicht gemacht.

derStandard.at: Das klingt einfach. Warum werden diese Untersuchungen nicht gemacht. Sind diese so kostenintensiv?

Müller: Das geht nicht so einfach. Aber der erste Langzeitversuch wird tatsächlich gerade durchgeführt, es gibt einen ersten Zwischenbericht, der aber nicht veröffentlicht wurde.

Die ersten Ergebnisse wird es deshalb schätzungsweise Ende nächsten Jahres geben. Vielleicht entschließt sich das Ministerium auch früher Ergebnisse zu veröffentlichen.

derStandard.at: Sie sind Risikoforscher. Wie schätzen Sie das Risiko ein, dass gentechnisch veränderte Nahrungsmittel im menschlichen Organismus Reaktionen auslösen?

Müller: Eine der Dogmen in der Risikoforschung heißt ja, wenn ich gentechnisch veränderte Nahrung esse, geht das Risiko nur von den Proteinen aus. Die DNA kann gar nicht gefährlich sein, weil diese zu 100 Prozent im Magen-Darmtrakt abgebaut wird. Das hat sich als falsch herausgestellt. Mittlerweile findet man im Blut, in der Leber, in der Niere und auch im Embryo von Mäusen synthetische DNA der Futtermittel. Das ist nur eine Frage der Methodenverfeinerung diese Substanzen zu finden.

derStandard.at: Was macht die syntetische DNA, aus gentechnisch veränderten Futtermittel, im Körper?

Müller: Die Industrie sagt: Die normale DNA unterscheidet sich ja nicht von der synthetischen DNA und macht nichts weil sie nur herumschwimmt, nicht erkannt wird und keine Funktion hat. Die Argumentation ist natürlich Nonsens weil die Natur so nicht funktioniert. Natürlich werden wir niemals in unseren Organismen Apfelgene oder Mäusegene einbauen.

Was wir aber herausgefunden haben ist, dass es eine Interaktion mit dem Immunsystem gibt. Die Grundlagenforschung sagt uns, dass es mindestens drei Rezeptoren für Nukleinsäuren gibt,die in der Lage sind Reaktionen auszulösen. So wurde die DNA von probiotischen Bakterien verfüttert und siehe da es gab den selben positiven Effekt an den Darmwänden.

Dann gibt es aber auch Studien, die zeigen, dass DNA Krankheiten auslösen kann, wie zum Beispiel bei Allergien und Asthma.

derStandard.at: Ist ein Leben ohne gentechnisch veränderte Produkte überhaupt noch möglich?

Müller: Ja, natürlich. Die pflanzlichen Produkte sind in Österreich gentechnikfrei. Und wenn man sich die Entwicklung bei Bio-Nahrungsmittel anschaut, da gibt es Steigerungen von acht Prozent, dann merkt man ja dass es auch ohne Gentechnik geht.

derStandard.at: Kann man genmanipulierte Nahrung tatsächlich vermeiden, wenn selbst gentechikfreie Produkte einen Anteil von 0,9 Prozent an Verunreinigungen pro Inhaltstoff haben dürfen?

Müller: Die Europäische Kommision möchte den Grenzwert der konventionellen Produkte auch bei Bioprodukten, die in den Handel kommen ermöglichen. Verunreinigungen entstehen am Feld durch Pollenflug oder Insektenbestäubung, und in der Verarbeitung wie zum Beispiel Getreiderückständen im Mähdrescher, da im ökonomischen Betrieb absolute Reinheit nicht möglich ist. Deshalb dieser Kompromiss. Hier lässt die Kommission den Biolandbau im Regen stehen.

derStandard.at: Welche Folgen hätte die Aufhebung des Importverbotes für unsere Umwelt und unseren Lebensraum bedeutet ?

Müller: Wenn der Anbau kommt, dann verabschiedet sich Österreich von einer gentechnisch freien Landwirtschaft. Die Wissenschaft weiß zwar wie man ein syntetisches Gen in eine Pflanze hinein bekommt, aber wie man es hinaus bekommt weiß sie nicht. Wir wissen einfach nicht was mit den synthetischen Genen passiert.

Wenn wir es zulassen gentechnisch veränderte Kontaminationen zu zulassen, dann verabschieden wir uns von der Möglichkeit eines Lebens ohne Gentechnik. Dann können wir nicht mehr zurück. Dafür hat kein Wissenschafter eine Antwort. (Andrea Niemann)