Krippen aus getrockneten Kukuruzblättern, Haarspangen aus Rinderhorn: Westungarisches Weihnachtskunsthandwerk besticht durch Originalität und Naturverbundenheit - von Gregor Mayer
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Auf der Suche nach Kleingeschenken der etwas anderen Art lohnt sich eine Spritztour ins grenznahe, westliche Ungarn allemal. Der Weihnachtsmarkt in der Grenzstadt Sopron (deutsch: Ödenburg), der in diesem Jahr zwischen dem 25. November und 17. Dezember zum vierten Mal in Folge stattfand, gibt alljährlich einen repräsentativen Überblick über das Schaffen der Kunstgewerbler der Region.

Das kreative Potenzial, das sich dabei offenbart, ist mitunter erstaunlich. Solides handwerkliches Können verbindet sich da mit oft frappanter Ideenvielfalt und Liebe zu Stoffen und Materialien, die Mutter Natur gerne jedem bereitstellt, der ihren künstlerischen Nutzwert erkennt.

Wie etwa die getrockneten Lieschen – die Hüllblätter, die die Kolben der weiblichen Kukuruz-Pflanze bedecken – aus denen die ehemalige Kindergärtnerin Ildikó Papp-Rácz ihre Figuren und Tableaus formt. Sie verarbeitet auch Stroh, Tannenzapfen, Reisig, getrocknete Mohnkapseln, und was Wald und Wiese sonst noch so hergeben. "Nicht die Technik ist in der Kunst wichtig, sondern die Seele", lautet ihr Leitspruch, der auf ihrem Stand prangt.

Das Kunsthandwerk hat sie zur Lebensform entwickelt: Im abgelegenen Dorf Dudar im Bakony-Wald nördlich des Plattensees hat sie ihr Atelier. Dort betreibt sie mit ihrem Mann einen kleines öko-touristisches Gehöft.

Erwachsene und Kinder können hier unter ihrer Anleitung das Stroh- und Lieschen-Basteln ausprobieren oder das Reiten und Bogenschießen erlernen. Aus dem naturgegebenen Material bastelt sie Engel, Heilige und biblische Gestalten oder ganze Krippen-Ensembles. "Ich will hier Qualität und keinen Ramsch", erklärt István Kiss, der Organisator des Soproner Weinachtsmarkts, sein Konzept. Der 56-jährige Elektrik-Unternehmer ließ sich von den großen Weihnachtsmärkten in Wien und Budapest inspirieren: "An Wien imponiert mir die kommunikative Note: Da kommen die Leute zusammen, um sich beim Punsch miteinander zu unterhalten. In Budapest, auf dem Vörösmarty-Platz, wiederum liegt der Schwerpunkt auf volksnahem Kunsthandwerk" – was ihm nacheifernswert erscheint.

Die Kerzenständer, Obstschalen, Schmuck- und Ziergegenstände und Glasfenster von Eszter Balogh weisen in die Richtung der elaborierten Volkskunst.

Die junge Ödenburgerin hat auf der Kunstfachschule in Györ sowohl die Glasmalerei als auch das Glaserhandwerk erlernt. Der Györer Glaskünstler László Hefter weihte sie in die Meisterschaft des Anfertigens von in Blei gefassten Glasfenstern ein. "Ich möchte Sachen machen, die sowohl schön als auch nützlich sind", bringt sie ihr Credo auf den Punkt. An ihrem Stand finden sich geschmackvolle Geschenke für jedes Portemonnaie: Schmuckstücke, Glasschmuck-Halsketten und große, farbenprächtige Obstschalen. Wenn sie nicht für den weihnachtlichen Bedarf produziert, macht Eszter Balogh in ihrem Atelier in Sopron Fenster, Türen und Glaslaternen für jene Häuslbauer, die ihrem Anwesen einen individuellen Touch verleihen möchten.

Kunst mit Hörnern

Eines der Handwerke, das anderswo längst und in Ungarn fast ausgestorben ist, ist die Rinderhorn-Verarbeitung. László Varga aus dem südwestungarischen Zalaegerszeg, ist einer von drei oder vier Meistern dieses Metiers, die es in Ungarn noch gibt. In Sopron ist die Vielfalt dessen zu bewundern, was sich aus Horn so alles herstellen lässt: Kämme, Broschen, Spangen, Ohrgehänge, Halsketten.

Zu den Kuriosa zählten die Trinkhörner, wie sie bei den heidnischen Magyaren in Gebrauch waren. László Varga versteht sich auch, wie sein Sohn Gábor darlegte, auf das Hornschnitzen. Seine schönsten Trinkhörner zieren geheimnisvolle skythische Gravuren.

Was den Indianern die Friedenspfeife ist, war den Ur-Magyaren das Friedenshorn, erzählt Gábor Varga: "Man füllte es mit Wein, und wer davon trank, mit dem hat man nicht mehr gehadert." Der 22-Jährige, der derzeit noch Bildhauerei studiert, will später von seinem Vater auch die Hornverarbeitung erlernen. Denn: "Ich möchte nicht, dass diese Kunst ausstirbt." (Gregor Mayer, DER STANDARD Printauasgabe 21.12.2006)