Die Kirche "Arche des Herrn" (links) wurde 1977 fertiggestellt. Der Zentralplatz (rechts) zeigt polnische Architekturgeschichte.

Foto: krakow.pl
Kleine Geschenke erhalten ja angeblich die Freundschaft. Jenes von 1949, das die Sowjetunion den Einwohnern von Krakau gemacht hat, ist allerdings etwas groß geraten, um noch als freundlicher Akt verstanden zu werden. Nowa Huta - ein ganzer Vorort als Präsent - war vor allem als Korrektiv gegen bürgerlichen Konservativismus gedacht, der sich in Krakau halten konnte. Und es ist schwer zu behaupten, dass diese Strategie nicht aufgegangen wäre. Denn wer heute aus der Tramlinie 15 dort aussteigt, findet sich in Krakaus längst eingemeindeten Arbeiterviertel wieder, das immerhin ein Drittel der heutigen Stadtbevölkerung beherbergt.

Wer über den Zentralplatz in Richtung Osten, zum ehemaligen Herzstück von Nowa Huta, dem Namen gebenden Sendzimir-Stahlwerk, spaziert, sollte sich dennoch voreilige "ostalgische" Erwartungen erst einmal sparen. Der städtebauliche Plan, der sich der Renaissance-Sitte bediente, in einem großzügigen Halbkreis auf dem Stadtplan in Erscheinung zu treten, blieb nämlich in alle Richtungen offen. In Nowa Huta bedeutet dies, dass sich gleich hinter dem "Dogenpalast", wie die Krakauer "ihr" Werk tauften, einige der ältesten Strukturen Krakaus erhalten konnten. Vor allem um den Wanda-Hügel, der bereits aus vorchristlicher Zeit stammt und vor der architektonischen Strenge des Stahlwerks zumindest sommers einen grünen Buckel aufschiebt.

Sakral durchwachsen

Auch mit den Kirchen ist das so eine Sache im "Arbeiterparadies". Unangetastet findet sich hier das Zisterzienserkloster von Mogila aus dem dreizehnten Jahrhundert und ein paar Schritte weiter das rurale Erbe, das man so gerne mit Nowa Huta zubetoniert hätte. Etwas verloren steht sie dennoch da, die Holzkirche St. Bartholomäus aus dem 15. Jahrhundert, die man eher in den Karpaten vermuten würde als im Kombinat.

Wenigstens über die "Allee der Freundschaft" muss man zurück in Richtung Zentralplatz gehen, wenn man den größten Kompromiss in der Stadtplanung eines realsozialistischen Viertels kennen lernen will: die Arche des Herrn. Diese Kirche wurde nämlich bereits 1977 als erste überhaupt in ein Ensemble sowjetischer Monumentalarchitektur integriert, obwohl Sakralbauten ja eigentlich nicht vorgesehen waren in einem Themenpark der Arbeit.

Oder doch Erlebnispark? Während Krakaus Einwohner aus den anderen Vierteln der Stadt heute nur wegen der großen Einkaufszentren kommen, die dem ausrangierten Stahlwerk vor die Tore gesetzt wurden, boomt Nowa Huta vor allem bei den Touristen. Die wiederum wollen das volle Nostalgie-Programm fahren. Nicht nur US-Amerikaner lassen sich von den Chauffeuren der Krakauer "Crazy Tours" im Trabant durch Nowa Huta schaukeln, um sich für umgerechnet rund 30 ¬ bei der "Communism Tour deluxe" Geschichte(ln) im Fast-Food-Verfahren hinunterzuwürgen.

Wohnen im Funpark?

Die Stadt Krakau selbst tut sich mit der Funpark-Umwidmung Nova Hutas noch etwas schwer, denn die Nachfrage der Besucher wäre zwar vorhanden, aber die Krakauer selbst können diesen Ideen verständlicherweise wenig abgewinnen: Alte Lenin-Statuen wieder auszumotten und sie auf der Rosenallee aufzustellen, wurde kurz überlegt und gleich wieder verworfen. Schwierig zu realisieren wird auch das Vorhaben sein, in vier der bereits unter kommunalen Denkmalschutz gestellten Wohnblocks ein Freilichtmuseum mit alten Wolga- Limousinen als Taxis vor möglichst geschmacklos dekorierten Schaufenstern einzurichten. Wesentlich leichter fiel die Entscheidung, was mit den stillgelegten Teilen des Stahlwerk passieren soll, das ist ohnehin bereits auf dem besten Weg zu einem Industriemuseum.

Kaum jemand, der Nowa Huta auf einer Reise nach Krakau besucht, wohnt denn auch in diesem Viertel. Wer dies dennoch tut, wird auch hier einen Bereich finden, der sich dem Reißbrett der Stadtplaner entzogen hat. Das Hotel Santorini etwa liegt zwar gerade noch in Nowa Huta aber dennoch mitten im Grünen. Dass die weiten Felder der ehemals ausschließlich landwirtschaftlich genutzten Vorstadt inspirieren können, dafür bürgt der polnische Maler Jan Matejko, der in unmittelbarer Nachbarschaft auf seinem Landgut lebte. (Sascha Aumüller/Der Standard/Printausgabe/ 23./24./25./26.12.2006)