Bikulturelle Kinder brauchen Räume, in denen sie "normal" sind, sagt die Sozial- und Kulturanthropologin Gertraud Pantucek. Parallelgesellschaften seien aber auch zu vermeiden: "Hier geht es eigentlich immer wieder um die Balance."

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Von distanzlosem Verhalten bis zu rassistischen Übergriffen: Bikulturelle Kinder fallen auf, vor allem wenn sie anders aussehen. Wichtig wäre es, Umgebungen zu schaffen, in denen das nicht so ist - in Kindergruppen oder mehrsprachigen Schulen beispielsweise. Was noch lange keine Parallelgesellschaft ausmacht, erklärt die Kulturanthropologin und Sozialarbeiterin Gertraud Pantucek im derStandard.at- Interview mit Heidi Weinhäupl.

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derStandard.at: Aus Ihrer praktischen Erfahrung und Forschungsarbeit heraus: Welche besonderen Erfahrungen machen Mütter bikultureller Kinder in Österreich – positiv wie negativ?

Gertraud Pantucek: Als positiv sehen viele Mütter die Mehrsprachigkeit, mit der ihre Kinder selbstverständlich aufwachsen – und dass die Kinder lernen, sich in unterschiedlichen sozialen und kulturellen Kontexten zu bewegen. Probleme gibt es eher im Umgang mit der österreichischen Gesellschaft, vor allem wenn die Kinder auffällig anders aussehen.

derStandard.at: Wie reagiert denn der Durchschnittsösterreicher oder die Durchschnittsösterreicherin auf Kinder, die anders sind oder scheinen?

Pantucek: Hier gibt es oft ein sehr distanzloses Verhalten – die Kinder werden berührt, die Haare angegriffen. Und immer geht es um die Herkunft: Na, woher kommst du denn, wer ist denn dein Papa? Von vielen Müttern wird das als Zumutung erlebt – sie erscheinen sozusagen als außerhalb der Norm und haben das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen, weil das Kind anders aussieht.

derStandard.at: Wobei das vermutlich von vielen Menschen gar nicht böse gemeint ist, sondern freundlich und interessiert.

Pantucek: Sicherlich, doch wenn Ihnen das als Mutter fünfmal die Woche passiert, fragt man sich schon, warum die Herkunft und das Aussehen so im Vordergrund steht. Klar, afrikanisch-österreichische Kinder fallen auf – doch es wäre gut, hier einen natürlichen Umgang damit zu bekommen. Beispielsweise könnte man eher das Kind selbst "süß" finden und weniger das "Anderssein". Und vor allem diesem vermeintlichen Anderssein nicht irgendwelche Eigenschaften zuschreiben – auch nicht im Sinn eines positiven Rassismus oder Exotismus.

derStandard.at: Sind bikulturelle Kinder in Österreich hauptsächlich diesem exotisierenden Verhalten ausgesetzt oder auch oft Opfer von Rassismus?

Pantucek: Das ist sehr unterschiedlich. Generell erleben Kinder vermutlich weniger offenen Rassismus – aber bei Jugendlichen ist rassistische Aggression recht häufig. Das geht dann von Beschimpfungen bis hin zu tätlichen Angriffen.

derStandard.at: Warum gerade im Jugendlichenalter?

Pantucek: Bei 13- bis 15-Jährigen geht es stark um die Bildung einer eigenen Identität – und die wird hierzulande, wie auch in vielen anderen Ländern, häufig über Ausschluss von Anderen erzeugt oder verstärkt. Es ist eben oft das Leichteste, sich Leute zu suchen, die so sind wie man selber.

derStandard.at: Was können bikulturelle Eltern in dieser Situation tun?

Pantucek: Auch für bikulturelle Kinder und Jugendliche ist es wichtig, eigene Gruppen zu haben, in denen man sozusagen normal ist. Es kann nicht immer darum gehen, Anschluss an die Mehrheitsgesellschaft zu suchen. Kinder müssen sich manchmal auch einfach problemloser verhalten können. Das gleiche kennt man ja auch aus dem Feminismus; Frauenräume sind wichtig, damit sich Frauen nicht immer gegenüber Männern beweisen müssen. Genauso sind afrikanische, philippinische oder türkische Gruppen oder Kulturvereine wichtig: Da können sich Menschen treffen, deren Leben ähnlich verlaufen und die sich einander verwandt fühlen.

derStandard.at: Es kann nicht immer um den Anschluss an die Mehrheitsgesellschaft gehen - droht da im Gegenzug nicht die von vielen befürchtete Parallelgesellschaft?

Pantucek: Diese Kontakte innerhalb dieser Gruppen sollen ja nicht die einzigen sein, die die Kinder haben. Wenn sie sich ausschließlich in diesen Kreisen bewegen, in spezielle Schulen und religiöse Vereinigungen gehen und kaum Kontakte zu anderen haben – das wäre eine Parallelgesellschaft. Und das ist sicherlich zu vermeiden. Hier geht es eigentlich immer wieder um die Balance.

derStandard.at: Welche Sprache sollten bikulturelle Familien zu Hause sprechen – eher Deutsch oder eher die Zweitsprache? Oder ein Elternteil so, der andere so?

Pantucek: Wichtig ist ein klares Modell, an dem die Kinder sich orientieren können – also beispielsweise die Mutter spricht Deutsch und der Vater Englisch. Doch es ist auch wichtig, als Familie eine gemeinsame Sprache zu finden. Alleinerzieherinnen können Wege zur väterlichen Sprache eröffnen, beispielsweise über einen zweisprachigen Kindergarten. Aber eine österreichische Mutter sollte schon eher Österreichisch mit ihren Kindern sprechen. Generell gilt: Es sollte das gesprochen und getan werden, wozu man auch selbst steht. Das gilt auch für die Religion.

derStandard.at: Inwieweit?

Pantucek: Wer Religion aktiv lebt, sollte diese auch an seine Kinder weitergeben. Aber Religion, Werte oder Sprache sollte natürlich in einer bikulturellen Partnerschaft auch immer wieder Thema sein. Und bei heiklen Fragen, wie beispielsweise bei der Beschneidung von Buben, kann man auch warten, bis das Kind selbst entscheiden kann.

derStandard.at: Und bei der Beschneidung von Mädchen?

Pantucek: Die Beschneidung an Mädchen ist ein Verbrechen und als solches zu verfolgen.

derStandard.at: Wenn im Falle einer Scheidung die Kinder bei der österreichischen Mutter bleiben – wie kann diese weiterhin die andere Kultur integrieren?

Pantucek: Generell ist es gut, den Kontakt mit den Vätern zu halten – das gilt für österreichische Ehen aber genauso. Bikulturelle Mütter sind da aus meiner Erfahrung heraus sogar eher bereit, den Vater mit einzubeziehen, als österreichische. Und auch die ausländischen Väter haben mindestens genauso viel Interesse an den Kindern wie die österreichischen Väter.

derStandard.at: Und wenn dennoch kein Kontakt mehr mit dem Vater möglich ist oder gewollt wird?

Pantucek: Dann kann man sich gezielt Alternativen überlegen. Gut wäre eine männliche Bezugsperson aus der jeweiligen Kultur zu suchen oder solche Kontakte zu ermöglichen. Und eben spezielle Kindergruppen. Zudem könnte mit der Herkunftsfamilie des Vaters ein – zumindest loser – Kontakt gepflegt werden. Oder man unternimmt eine gemeinsame Reise in das Herkunftsland des Vaters. Alles, was die anderen Identitätsanteile und Sprache mit einbezieht, ist meistens von Vorteil. Denn spätestens im Jugendlichenalter fragen die Kinder normalerweise nach.

derStandard.at: Warum werden Beziehungen zwischen österreichischen Frauen und Männern aus Drittstaaten so viel häufiger geschieden als die zwischen Männern aus Österreich und Drittstaaten-Frauen?

Pantucek: Da müsste man eine eigene Studie machen. Aber vermutlich stehen wohl oft auch unterschiedliche Erwartungen an eine Partnerschaft dahinter. Und da haben österreichische Frauen eher die Wahl, sich zu trennen, wenn ihre Vorstellungen von Partnerschaft nicht erfüllt werden. Für eine ausländische Frau in Österreich ist das viel schwieriger – Scheidung, Sorgerechts-Streit, Beruf, Wohnung und Familie in einem fremden Umfeld alleine zu regeln erscheint oft als praktisch unmöglich. So werden mehr Kompromisse geschlossen.

derStandard.at: Und wenn es dennoch zu einer Scheidung kommt – wie stellt sich dann hierzulande die Situation für bikulturelle Mütter aus dem Ausland dar?

Pantucek: Bei alleinerziehenden ausländischen Müttern ist die Situation eigentlich eine völlig andere – hier geht es sehr oft um den Aufbau der eigenen Existenz, um eine Neuorientierung für sie selber und wie sie sich in dieser Gesellschaft verankern. Da stehen die Kinder oft ein bisschen mehr zwischen den Welten. Aber das kommt auch darauf an, ob der österreichische Vater noch für seine Kinder da ist. Was keineswegs immer der Fall ist. Doch da kann man natürlich genauso wenig verallgemeinern. (Heidi Weinhäupl, derStandard.at, 26.12.2006)