Keine Feier, keine Nationalhymnen, keine pathetischen Reden – mit einem prosaischen Knopfdruck endete in der vergangenen Neujahrsnacht der Zweite Weltkrieg, jedenfalls aus britischer Sicht. Gut 61 Jahre nach Einstellung der Kampfhandlungen überwies die Bank von England 83 Millionen Dollar an die Federal Reserve in New York. Damit hat das Vereinigte Königreich die letzte Tranche seiner Kriegsschulden abbezahlt. „Wir sind in Gänze unseren Verpflichtungen nachgekommen, genau wie damals die USA ihre Verpflichtungen uns gegenüber erfüllte“, sagt Ed Balls, der Staatssekretär im Londoner Schatzkanzleramt.

Historikern, aber auch heutigen Beobachtern internationaler Politik bietet die Geschichte der jetzt beglichenen Schuld ein Fallbeispiel für den Konflikt zwischen gemeinsam verfolgten Zielen und national begründeten Interessen. Zwar sympathisierte US-Präsident Franklin D. Roosevelt mit dem seit Juni 1940 allein gegen Nazi-Deutschland kämpfenden Empire. Hilfe gewährte er aber nur in Form des Lend-Lease-Abkommens: Für eine Reihe ausgedienter US-Kriegsschiffe mussten die Briten einige ihrer Militärbasen in der Welt an die USA abtreten.

Korb für Keynes

Nach Hitlers Überfall auf die Sowjetunion und Deutschlands Kriegserklärung an die USA 1941 wurde die anglo-amerikanische Allianz enger, flossen auch die US-Leistungen großzügiger. Doch kurz nach Kriegsende kündigte Roosevelts Nachfolger Harry S. Truman den Vertrag. Das britische Kabinett schickte den Ökonomen John Maynard Keynes nach Washington in der Hoffnung, dieser werde einen Schuldenerlass sowie Entwicklungshilfe von fünf Mrd. Dollar erwirken können.

Weit gefehlt: Nach zähen Verhandlungen gewährten die Amerikaner einen Kredit von 3,75 Mrd. Dollar, immerhin zu günstigen Konditionen (Zinssatz zwei Prozent, Laufzeit 50 Jahre). Außerdem musste London 1947 das Pfund auf den Währungsmärkten freigeben, mit verheerenden Folgen für die Rationierungen unterworfene Wirtschaft. Noch im gleichen Jahr aber veränderten sich Amerikas Interessen. Um dem Vormarsch der Sowjetunion zu begegnen, erhielten die US-Verbündeten in Europa, allen voran Großbritannien, großzügige Hilfe im Rahmen des Marshall-Plans.

Am einmal ausgehandelten Kriegsschuld-Kredit aber änderte sich nichts. Als die Rückzahlung 1950 begann, lag die britische Staatsverschuldung bei 200 Prozent des BIP (heute: 36,8 Prozent). Trotzdem hielten die Briten eisern an der Rückzahlung fest, die im beiderseitigen Einvernehmen sechsmal für ein Jahr unterbrochen wurde, weshalb jetzt die letzte Zahlung fällig wurde. Der Fall beweise, glaubt Christopher Meyer, „dass die tief verankerte Wertschätzung für Großbritannien niemals die nationalen Interessen Amerikas übertrumpft“. Der Mann weiß, wovon er redet: Er war bis 2003 Großbritanniens Botschafter in Washington. (Sebastian Borger aus London/DER STANDARD, Printausgabe, 4.1.2007)