Max Haller

Ehen werden keineswegs so häufig "einvernehmlich" geschieden, wie es die juristischen Gründe (STANDARD, 8. 7.) nahelegen. Auch wenn formell Einvernehmlichkeit als Grund angegeben wird, ist es meist ein Partner, der die Scheidung aktiv betrieben hat, während sie der andere eher "erleidet" (Judith Wallerstein/ Sandra Blakeslee, Gewinner und Verlierer, München 1989).

Die "Verlierer" sind nicht immer nur die Frauen, sie betreiben die Scheidung zu zwei Dritteln aktiv.

Verlierer sind in erster Linie die Kinder, die eine Scheidung immer als schweren Trennungsprozess erleben. Dieser kann abgemildert werden, wenn beide Elternteile auch nach der Ehe gute Beziehungen zum Kind aufrechterhalten.

Hier ist die Möglichkeit einer gesetzlich festgelegten, gemeinsamen Obsorge weit wichtiger, als durch die "Standard-Analysen" nahegelegt.

Sie wird ein gutes Verhältnis der Partner nach der Scheidung im Interesse der Kinder nicht erzwingen können, sie kann aber ohne Zweifel verhindern, dass ein Partner (heute meist die Frau) den anderen mit rechtlichen Mitteln daran hindert, einen regelmäßigen Kontakt zum Kind aufrechtzuerhalten.

Manche amerikanische Staaten haben die gemeinsame Obsorge sogar als gesetzliche Verpflichtung formuliert - mit positiven Ergebnissen.

Eine adäquate, nicht bloß moralisierende Sicht (aus welcher Perspektive auch immer) heutiger Ehekrisen und -probleme kann man nur gewinnen, wenn man drei Typen von Ursachen für Trennung und Scheidung sieht: Das Verschuldensprinzip, das Zerrüttungsprinzip und - bislang noch kaum genannt - das Verantwortungsprinzip. Jener Partner, der die Scheidung aktiv betreibt, übernimmt damit die Hauptverantwortung dafür und muss vor allem bereit sein, die für das Wohl der Kinder notwendigen Konsequenzen zu ziehen.

Das derzeit in Österreich gültige Scheidungs- und Kindschaftsrecht macht dies für die Beteiligten bei weitem nicht genügend klar.

Max Haller ist Professor für Soziologie an der Karl Franzens-Universität in Graz.