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Überflieger Gregor Schlierenzauer wird verdächtigt, viel zu wenig zu essen. Er führt trotzdem.

Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images
Sigi Lützow aus Innsbruck

Für Andreas Küttel ist im Prinzip täglich Neujahr. "Heute ist der erste Tag vom Rest deines Lebens. Grund genug, um ihn zu feiern", lautet das Lebensmotto des 27-Jährigen aus Einsiedeln. Der hat nach der Halbzeit und vor dem Springen am Innsbrucker Bergisel am Donnerstag reelle Chancen, als allererster Schweizer die Vierschanzentournee zu gewinnen. Das hat nämlich nicht einmal der legendäre Walter Steiner geschafft. Der war zweimal Zweiter.

Gerade drei Punkte fehlen der Frohnatur nach dem Triumph im verregneten und verblasenen Neujahrsspringen zu Garmisch auf den Gesamtführenden Gregor Schlierenzauer. Küttels Landsmann Simon Ammann war mehr zugetraut worden. Aber der Doppelolympiasieger von Salt Lake City wurde in Garmisch Opfer der wechselnden Bedingungen und liegt nach Platz 18 schon 30,5 Punkte hinter Schlierenzauer. Den jungen Tiroler sehen nicht nur die Eidgenossen als Topfavoriten. "Wenn wir beide unsere besten Sprünge zeigen, dann springt Gregor weiter", sagt Küttel. Schließlich sei der Bergisel die Heimschanze des 16-Jährigen.

Magere Jahre

Nicht ganz so gelassen sehen die Finnen die Erfolge des Stubaitalers. "Die wahre Stärke von Schlierenzauer wird man erst erkennen, wenn er sein Erwachsenengewicht erreicht hat", grantelte deren Cheftrainer Tommy Nikunen, und warf damit ein schon beantwortet geglaubte Frage neu auf - ob im Skispringen da und dort nicht zu sehr nach Erfolgen gehungert wird. Im Lager der Finnen wird jedenfalls verbreitet, dass Schlierenzauer krankhaft untergewichtig sei. "Die mageren Jahre haben wieder begonnen", titelte das finnische Boulevardeblatt Ilta Sanomat und berichtete, dass Schlierenzauer bis zu fünf Kilogramm zu wenig wiege. Der junge Mann sei schlicht krank.

Krank war der Aufsteiger der Saison nach seinem ersten Weltcupsieg in Lillehammer tatsächlich. Mit einem daraus resultierenden Eisenmangel begründete Österreichs Cheftrainer Alexander Pointner dann auch die eher ungesund wirkende Gesichtsfarbe Schlierenzauers. Mittlerweile seien die Werte wieder normal, und auch am Gewicht gäbe es nichts auszusetzen. "Da kann gar nichts sein, dafür gibt es die BMI-Regel, gegen die sich einst just die Finnen so gesträubt haben", sagte Pointner. Seit 2004/05 und nicht zuletzt auf Antrag von ÖSV-Sportdirektor Anton Innauer gilt im Skispringen die BMI-Regel. Demnach müssen die Athleten einen Body-Mass-Index-Wert von zumindest 20 aufweisen. Die Zahl errechnet sich aus dem Körpergewicht in Kilogramm geteilt durch die Körpergröße in Metern zum Quadrat. Danach richtet sich die nicht unwesentliche Länge der Ski. Bei Erfüllung der BMI-Norm darf die Maximallänge der Latten 146 Prozent der Körpergröße betragen. Bei Schlierenzauer wären das 2,58 Meter.

Wiegen mit Anzug und Schuhen

Gewogen werden die Springer nach getaner Arbeit übrigens mit Anzug und Schuhen (aber ohne Helm und Ski), weshalb für den Sportler selbst, quasi wie Gott ihn schuf, von einem BMI-Wert von 18,5 ausgegangen wird. Für dieses laut Weltgesundheitsorganisation "leistungsmindernde Untergewicht" müsste ein 1,80 Meter großer Springer 60 Kilogramm auf die Waage bringen. Bei Schlierenzauer mit seinen 1,77 Metern wären es rund 58 Kilogramm, also etwa jenes Gewicht, das ihm von den Finnen unterstellt wird. Kein Geheimnis ist, dass Österreichs Jungstar mit kürzeren Latten über den Bakken geht, als ihm zustünden, könnte er die BMI-Norm voll erfüllen. Sportdirektor Innauer spricht von deutlich mehr als jenen 2,5 Zentimetern, die schon kolportiert wurden, aber von weniger als jenen zehn Zentimetern, die bei den Finnen genannt werden. Deren Sorgen um Schlierenzauers Gewicht sieht Innauer sportlich begründet. "Wir würden ja auch darüber nachdenken, wenn einer ihrer Springer derart stark wäre. Klar ist, dass Schlierenzauer schon längst disqualifiziert worden wäre, wenn er sich außerhalb des Reglements bewegte." Wie viel sein Schützling nun tatsächlich wiegt, wollte Innauer aber nicht verraten: "Dazu besteht keine Veranlassung." (DER STANDARD PRINTAUSGABE 3.1. 2007)