Nehmen wir einmal an, dass in acht Tagen am Spielplan der Staatsoper "La sonnambula" steht. Mit Anna Netrebko als leicht bekleidete Schlafwandlerin. Und nehmen wir an, Sie möchten die Vorstellung besuchen. Den Traum vom guten Sitzplatz können Sie vergessen: Die Oper ist restlos ausverkauft. Schon seit dem ersten Vorverkaufstag.

Sie können daher eine Karte am Schwarzmarkt erwerben. Oder Sie stellen sich stundenlang an - und gehen auf Stehplatz. Es funktioniert auch einfacher. "Ganz normal" können Sie eine Loge mit sechs Sitzplätzen buchen. Nur für sich und Ihren Schatz. Ohne dass jemand neben Ihnen oder gar im Nacken sitzt. Allerdings nur, wenn Sie der Kabinettchef des Finanzministers sind.

Am 22. November stand tatsächlich "La sonnambula" am Spielplan. Die Staatsoper war zum Bersten voll. Die sechste Parterreloge rechts aber war zu zwei Drittel leer: In ihr saß bloß ein Mann mit seiner feschen Begleitung. Den dritten Sessel hatte er bereits vor Beginn nach hinten geschoben, wie dem Uniprofessor Werner Doralt, einem Opernliebhaber, auffiel: "Kein Zufall also, dass die beiden die Loge von vornherein für sich alleine hatten."

Das konnte nicht mit rechten Dingen zugegangen sein, dachte sich der erzürnte Jurist. Denn besagte Loge darf der Finanzminister ausschließlich zu Repräsentationszwecken anfordern. Und Thomas Platzer, der kaufmännische Direktor, hat sie bis eine Woche vor Vorstellungsbeginn für ihn zu reservieren. (Solche Logen gibt es übrigens auch für den Bundespräsidenten, den Kanzler und den für die Oper zuständigen Minister, wenn es einen solchen gäbe. Franz Morak ist ja nur Staatssekretär von Schüssel.)

Was Doralt gleich auffiel: In der Loge saß nicht Karl-Heinz Grasser oder ein Ehrengast. Er schrieb dem Finanzminister daher einen Brief. Und als Antwort erhielt er ein Mail. Nicht von Grasser. Sondern von dessen Kabinettchef Matthias Winkler, Schwiegersohn von Sachers Elisabeth Gürtler. Er teilte mit, "dass ich ganz normal Karten für die Oper gekauft habe, und zwar alle Karten dieser Loge."

Der Professor, Vorstand des Instituts für Finanzrecht, kartete nach: "Was verstehen Sie unter 'ganz normal'? Verstehen Sie darunter, dass Sie die ausschließlich für Zwecke des Ministeriums vorbehaltenen Plätze in Anspruch genommen haben?" Die Antwort steht noch aus.

Doralt, der nach den Regeln für die Plebs seine Karte kaufte, spricht von "Unverfrorenheit". Er würde zu gerne wissen, wie oft die Ministerlogen "widmungswidrig" verwendet worden sind. Das würde wohl jeder Steuerzahler gerne. Denn Winkler kostete die feudale Attitüde vergleichsweise wenig: laut Preisliste 378 Euro.

Weil sich kaum jemand einen nicht subventionierten Opernbesuch leisten könnte, finanziert jeder Steuerzahler diesen mit. Und zwar mit rund 85 Euro (51,5 Millionen Euro Basisabgeltung dividiert durch die 600.000 Besucher im Jahr). Winklers Logen-Okkupation hat uns also etwa 510 Euro gekostet.

In der Staatsoper gibt man sich konsterniert. "Die Vorgangsweise, eine ganze Loge zu kaufen, dann aber nur zweit dort zu sitzen, ist absolut inakzeptabel", sagt Thomas Platzer. "Weil wir der Meinung sind, dass so viele Menschen wie möglich solche gefragten Vorstellungen besuchen können müssen." (Thomas Trenkler / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 4.1.2007)